Wenn der Schutz menschlicher Gesetze denen entzogen wird, welche die Gebote Gottes ehren, wird in verschiedenen Ländern eine gleichzeitige Bewegung entstehen, sie zu verderben. Wenn die in dem Erlaß bestimmte Zeit herannaht, verschwört sich das Volk, die verhaßte Sekte auszurotten. Es wird beschlossen, in einer Nacht den entscheidenden Schlag zu tun, der die Stimme der abweichenden Ansichten und des Tadels für immer zum Schweigen bringen soll.
Gottes Kinder - etliche in Gefängniszellen, etliche in einsamen
Schlupfwinkeln in den Wäldern und Bergen verborgen - flehen noch immer um göttlichen
Schutz, während überall bewaffnete Männer, angetrieben von Scharen böser
Engel, Vorkehrungen für das Werk des Todes treffen. Jetzt in der Stunde der äußersten
Gefahr wird der Gott Israels zur Errettung seiner Auserwählten einschreiten. Der
Herr hat gesagt: „Da werdet ihr singen wie in der Nacht eines heiligen Festes
und euch von Herzen freuen, wie wenn man mit Flötenspiel geht zum Berge des
Herrn, zum Hort Israels. Und der Herr wird seine herrliche Stimme schallen
lassen, daß man sehe seinen ausgestreckten Arm mit zornigem Dräuen und mit
Flammen des verzehrenden Feuers, mit Wetterstrahlen, mit starkem Regen und mit
Hagel.“ (Jes. 30, 29. 30.)
Mit Siegesrufen, mit Spott und Verwünschungen sind Scharen gottloser Menschen im Begriff, sich auf ihre Beute zu stürzen, wenn, siehe, eine dichte Finsternis, schwärzer als die dunkelste Nacht, auf die Erde fällt. Dann überspannt ein Regenbogen, strahlend von der Herrlichkeit des Thrones Gottes, den Himmel und scheint jede betende Gruppe einzuschließen. Die zornigen Menschen werden plötzlich aufgehalten. Ihre spottenden Ausrufe ersterben. Die, auf welche sich ihre mörderische Wut richtete, sind vergessen. Mit schrecklichen Ahnungen starren sie auf das Sinnbild des Bundes Gottes und möchten gern vor dessen überwältigendem Glanz geschützt sein.
Das
Volk Gottes vernimmt eine helle, klangvolle Stimme, die sagt: „Sehet auf!“
und die Augen zum Himmel erhebend, erblickt es den Bogen der Verheißung. Die
schwarzen, drohenden Wolken, welche das Himmelsgewölbe bedeckten, haben sich
zerteilt und gleich Stephanus sieht es unverwandt in den Himmel und erblickt die
Herrlichkeit Gottes und des Menschen Sohn sitzend auf seinem Thron. An seiner göttlichen
Gestalt erkennen die Auserwählten die Zeichen seiner Erniedrigung, und von
seinen Lippen vernehmen sie die vor seinem Vater und den heiligen Engeln
dargebrachte Bitte: „Ich will, daß wo ich bin, auch die bei mir seien, die du
mir gegeben hast.“ (Joh. 17, 24.) Wiederum erklingt eine liebliche und
frohlockende Stimme, welche sagt: „Sie kommen! Sie kommen! Heilig, harmlos und
unbefleckt, sie haben das Wort meiner Geduld gehalten, sie sollen unter den
Engeln wandeln.“ Und die blassen, zitternden Lippen derer, die an ihrem
Glauben festgehalten haben, brechen in ein Siegesgeschrei aus.
Es ist mitten in der Nacht, da Gott seine Macht zur Befreiung seines Volkes offenbart. Die Sonne wird sichtbar und leuchtet in voller Kraft. Zeichen und Wunder folgen rasch aufeinander. Die Gottlosen schauen mit Schrecken und Bestürzung auf die Vorgänge, während die Gerechten mit feierlicher Freude die Zeichen ihrer Befreiung betrachten. In der Natur scheint alles außer Ordnung zu sein. Die Ströme hören auf zu fließen. Dunkle, schwere Wolken steigen herauf und stoßen gegeneinander. Mitten an dem erzürnten Himmel ist eine Stelle von unbeschreiblicher Herrlichkeit, von wo aus die Stimme Gottes gleich der Stimme vieler Wasser ertönt und sagt: „Es ist geschehen!“ (Offb. 16, 17. 18.)
Jene Stimme erschüttert die Himmel und die Erde.
Es geschieht „ein großes Erdbeben, wie solches nicht gewesen ist, seit
Menschen auf Erden gewesen sind, solch Erdbeben also groß.“ (Offb. - 16, 17.
18.) Der Himmel scheint sich zu öffnen und zu schließen. Die Herrlichkeit vom
Throne Gottes scheint durchzublitzen. Die Berge erbeben gleich einem Rohr im
Winde, und zerrissene Felsen werden überall hin zerstreut. Es erhebt sich ein
Getöse wie von einem heranziehenden Sturm. Das Meer wird zur Wut gepeitscht.
Man hört das Brüllen des Orkans, der Stimme von Dämonen gleich, wenn sie sich
zur Zerstörung aufmachen. Die ganze Erde hebt sich und wallt gleich den Wogen
des Meeres; ihre Oberfläche bricht auf; selbst ihre Grundfesten scheinen zu
weichen. Bergketten versinken. Bewohnte Inseln verschwinden. Die Seehäfen,
welche an Bosheit Sodom gleich geworden sind, werden von den zornigen Wassern
verschlungen. Babylon der großen wird „gedacht vor Gott, ihr zu geben den
Kelch des Weins von seinem grimmigen Zorn.“ (Offb. 16, 19. 20.) Große
Hagelsteine, jeder schwer wie „ein Zentner“, vollbringen ihr Zerstörungswerk.
Die stolzesten Städte der Erde werden in Trümmer gelegt. Die herrlichsten Paläste,
an welchen die Großen der Welt ihre Reichtümer verschwendet haben, um sich
selbst zu verherrlichen, zerfallen vor ihren Augen. Gefängnismauern werden
niedergerissen, und Gottes Volk, welches um seines Glaubens willen in
Gefangenschaft gehalten worden war, wird in Freiheit gesetzt.
Gräber öffnen sich, und „viele, so unter der Erde schlafen liegen, werden aufwachen; etliche zum ewigen Leben, etliche zur ewigen Schmach und Schande.“ (Dan. 12, 2.) Alle, welche im Glauben an die dritte Engelsbotschaft gestorben sind, kommen verherrlicht aus ihren Gräbern hervor, um mit denen, welche sein Gesetz gehalten haben, den Friedensbund Gottes zu vernehmen. Und auch „die ihn zerstochen haben“ (Offb. 1, 7); die Christum in seiner Todespein verspotteten und verlachten, und die heftigsten Widersacher seiner Wahrheit und seines Volkes werden auferweckt, um ihn in seiner Herrlichkeit zu schauen und die den Treuen und Gehorsamen verliehenen Ehren wahrzunehmen.
Dichte
Wolken bedecken noch den Himmel; doch hier und da bricht die Sonne hindurch, wie
das rächende Auge Jehovas; wütende Blitze zucken vom Himmel und hüllen die
Erde in ein Flammenmeer. Lauter als das schreckliche Grollen des Donners ertönen
geheimnisvolle, furchtbare Stimmen und verkünden das Schicksal der Gottlosen.
Die gesprochenen Worte werden nicht von allen erfaßt, aber deutlich verstanden
von den falschen Lehrern. Seelen, die kurz zuvor noch so sorglos, so prahlerisch
und herausfordernd, so siegesbewußt in ihrer Grausamkeit gegen das die Gebote
haltende Volk Gottes waren, sind jetzt von Bestürzung überwältigt und beben
vor Furcht. Ihre Wehrufe übertönen das Getöse der Elemente. Dämonen
anerkennen die Gottheit Christi und zittern vor seiner Macht, während die
Menschen um Gnade flehen und vor Schrecken im Staube kriechen.
Die
Propheten vor alters sagten, als sie in heiligem Gesicht den Tag Gottes sahen:
„Heulet, denn des Herrn Tag ist nahe; er kommt wie eine Verwüstung vom Allmächtigen.“
(Jes. 13, 6.) „Gehe in den Felsen und verbirg dich in der Erde vor der Furcht
des Herrn und vor seiner herrlichen Majestät. Denn. alle hohen Augen werden
erniedrigt werden, und die hohe Männer sind, werden sich bücken müssen; der
Herr aber wird allein hoch sein zu der Zeit. Denn der Tag des Herrn Zebaoth wird
gehen über alles Hoffärtige und Hohe und über alles Erhabene, daß es
erniedrigt werde.“ „Zu der Zeit wird jedermann wegwerfen seine silbernen und
goldenen Götzen, die er sich hatte machen lassen, anzubeten, in die Löcher der
Maulwürfe und der Fledermäuse, auf daß er möge in die Steinritzen und Felsklüfte
kriechen vor der Furcht des Herrn und vor seiner herrlichen Majestät, wenn er
sich aufmachen wird, zu schrecken die Erde.“ (Jes. 2, 10-12. 20. 21.)
Durch den Riß in den Wolken strahlt ein Stern, dessen Glanz im Gegensatz zu
der Finsternis vierfach erhöht wird. Er spricht den Treuen Hoffnung und Freude,
den Übertretern des Gesetzes Gottes aber Strenge und Zorn zu.
Die alles für Christum aufgeopfert haben, sind nun sicher, heimlich verborgen
wie in der Hütte des Herrn. Sie sind geprüft worden und haben vor der Welt und
den Verächtern der Wahrheit ihre Treue für den erwiesen, der für sie starb. Eine
wunderbare Verwandlung ist mit denen vorgegangen, die selbst angesichts des
Todes ihre Rechtschaffenheit bewahrt haben. Sie sind plötzlich von der
finsteren, schrecklichen Wüterei der in Dämonen verwandelten Menschen befreit
worden. Ihre vor kurzem noch blassen, ängstlichen und verstörten Angesichter
erglühen nun vor Erstaunen, Glauben und Liebe. Ihre Stimmen erheben sich in dem
siegesfrohen Gesang: Gott ist unsere Zuversicht und Stärke, eine Hilfe in
den großen Nöten, die uns getroffen haben. Darum fürchten wir uns nicht,
wenngleich die Welt unterginge und die Berge mitten ins Meer sänken, wenngleich
das Meer wütete und wallte und von seinem Ungestüm die Berge einfielen.“
(Ps. 46, 2-4.)
Während diese Worte des heiligen Vertrauens zu Gott emporsteigen, ziehen
sich die Wolken zurück und der Sternen besäte Himmel wird sichtbar,
unaussprechlich herrlich im Gegensatz zu dem schwarzen und zornigen Firmament
auf beiden Seiten. Die Herrlichkeit der himmlischen Stadt erstrahlt aus den
offenstehenden Toren. Dann erscheint am Himmel eine Hand, die zwei
zusammengelegte Tafeln hält. Der Prophet sagt: „Die Himmel werden seine Gerechtigkeit verkündigen;
denn Gott ist Richter.“ (Ps. 50, 6.) Jenes heilige Gesetz, die Gerechtigkeit
Gottes, welches unter Donner und Flammen vom Sinai herab als Führer des Lebens
verkündigt wurde, wird nun den Menschen offenbart als Maßstab des Gerichtes.
Die Hand öffnet die Tafeln und die Vorschriften der Zehn Gebote werden
sichtbar, wie mit einer feurigen Feder geschrieben. Die Worte sind so deutlich,
daß alle sie lesen können. Das Gedächtnis ist erwacht, die Finsternis des
Aberglaubens und der Ketzerei ist von jedem Gemüt verschwunden, und die zehn
kurzen, verständlichen und vollgültigen Worte Gottes stehen allen Bewohnern
der Erde deutlich vor Augen.
Es
ist unmöglich, den Schrecken und die Verzweiflung derer zu beschreiben, die
Gottes heilige Anforderungen mit Füßen getreten haben. Der Herr gab ihnen sein
Gesetz; sie hätten ihren Charakter damit vergleichen und ihre Fehler erkennen können,
als es noch Gelegenheit zur Buße und Besserung gab; aber um die Gunst der Welt
zu erlangen, setzten sie seine Vorschriften beiseite und lehrten andere, sie zu
übertreten. Sie haben sich bestrebt,
Gottes Volk zu zwingen, seinen Sabbat zu entheiligen. Jetzt werden sie durch
jenes Gesetz, welches sie verachtet haben, verdammt. Mit schrecklicher
Bestimmtheit sehen sie, daß sie keine Entschuldigung haben. Sie erwählten,
wem sie dienen und wen sie anbeten wollten. „Und ihr sollt dagegen wiederum
sehen, was für ein Unterschied sei zwischen dem Gerechten und Gottlosen und
zwischen dem, der Gott dient, und dem, der ihm nicht dient.“ (Mal. 3, 18.)
Die Feinde des Gesetzes Gottes, von dem Prediger an bis hinunter zu dem geringsten unter ihnen, haben einen neuen Begriff von Wahrheit und Pflicht. Zu spät sehen sie, daß der Sabbat des vierten Gebots das Siegel des lebendigen Gottes ist. Zu spät erkennen sie die wahre Natur ihres falschen Sabbats und den sandigen Grund, auf welchen sie gebaut haben. Es wird ihnen klar, daß sie gegen Gott gekämpft haben. Religionslehrer haben Seelen ins Verderben geführt, während sie vorgaben, sie zu den Toren des Paradieses zu geleiten. Nicht eher als am Tage der endgültigen Abrechnung wird man begreifen, wie groß die Verantwortlichkeit der in heiligen Ämtern stehenden Menschen ist, und wie schrecklich die Folgen ihrer Untreue sind. Nur in der Ewigkeit können wir den Verlust einer einzigen Seele richtig schätzen. Schrecklich wird dessen Los sein, zu dem Gott sagen wird: Gehe hinweg von mir, du gottloser Knecht.
Die Stimme Gottes erschallt vom Himmel, verkündigt den Tag und die Stunde der Ankunft Christi und übergibt seinem Volk den ewigen Bund. Gleich den lautesten Donnerschlägen rollen seine Worte über die Erde. Das Israel Gottes lauscht, die Augen nach oben gerichtet. Die Angesichter werden von seiner Herrlichkeit erleuchtet und scheinen wie das Angesicht Moses, als er vom Sinai hernieder kam. Die Gottlosen können sie nicht ansehen. Und wenn der Segen über die ausgesprochen wird, welche Gott dadurch ehrten, daß sie seinen Sabbat heilig hielten, erschallt ein gewaltiger Siegesruf.
Im Osten erscheint eine kleine schwarze Wolke, ungefähr halb so groß wie
eines Mannes Hand. Es ist die Wolke, die den Heiland umgibt, und die in der
Entfernung in Finsternis gehüllt zu sein scheint. Gottes Volk weiß, daß dies
das Zeichen des Menschensohnes ist. In feierlichem Schweigen blicken alle
unverwandt auf sie, wie sie der Erde näher rückt und zusehends heller und
herrlicher wird, bis sich eine große weiße Wolke entwickelt, deren Grund wie
verzehrendes Feuer aussieht und über welcher der Regenbogen des Bundes schwebt.
Jesus reitet voraus als ein mächtiger Sieger.
Er kommt jetzt nicht als Schmerzensmann, den bittern Kelch der Schmach und des
Wehes zu trinken, sondern als Sieger im Himmel und auf Erden, um die Lebendigen
und die Toten zu richten. „Treu und Wahrhaftig, und er richtet und streitet
mit Gerechtigkeit.“ „Und ihm folgte nach das Heer im Himmel.“ (Offb. 19,
11. 14.) Mit Wechselgesängen himmlischer Weisen begleitet ihn ein großes, unzähliges
Gefolge heiliger Engel. Das Firmament
scheint mit leuchtenden Gestalten angefüllt zu sein, zehntausend mal
zehntausend und tausendmal tausend. Keine menschliche Feder kann die
Herrlichkeit dieses Anblicks beschreiben, kein sterblicher Verstand ihre Pracht
erfassen. „Seines Lobes war der Himmel voll und seiner Ehre war die Erde
voll. Sein Glanz war wie Licht.“ (Hab. 3, 4.) Da die lebendige Wolke noch näher
kommt, sieht jedes Auge den Lebensfürsten. Keine Dornenkrone entstellt sein
erhabenes Haupt, sondern ein Diadem der Herrlichkeit ruht auf seiner heiligen
Stirn. Sein Angesicht leuchtet heller als die blendende Mittagsonne. „Und hat
einen Namen geschrieben auf seinem Kleide und auf seiner Hüfte also: Ein König
aller Könige und ein Herr aller Herren.“ (Offb. 19, 16.)
Vor
seiner Gegenwart sind alle Angesichter bleich, und auf die Verwerfer der Gnade
Gottes fällt der Schrecken ewiger Verzweiflung. „Ihr Herz muß verzagen, die
Knie schlottern,... und aller Angesicht bleich werden.“ (Jer. 30, 6; Nah. 2,
11.) Die Gerechten rufen mit Zittern:
„Wer kann bestehen?“ Der Gesang der Engel verstummt, und es herrscht eine
Zeitlang peinliches Schweigen. Dann vernimmt man die Stimme Jesu, welche sagt:
„Meine Gnade ist genügend für euch.“ Die Gesichter der Gerechten hellen
sich auf, Freude erfüllt jedes Herz. Und die Engel singen im höheren Chor und
jubeln wiederum, indem sie sich der Erde noch mehr nähern.
Der König aller Könige steigt auf der Wolke herab, in Feuerflammen gehüllt. Der Himmel entweicht wie ein zusammengerolltes Buch, die Erde zittert vor ihm, und alle Berge und alle Inseln werden aus ihren Örtern bewegt. „Unser Gott kommt und schweiget nicht. Fressend Feuer gehet vor ihm her und um ihn her ein großes Wetter. Er ruft Himmel und Erde, daß er sein Volk richte.“ (Ps. 50,3.4.)
„Und die Könige auf Erden und die Großen und die Reichen und die Hauptleute und die Gewaltigen und alle Knechte und alle Freien verbargen sich in den Klüften und Felsen an den Bergen und sprachen zu den Bergen und Felsen: Fallet über uns und verberget uns vor dem Angesichte des, der auf dem Stuhl sitzt, und vor dem Zorn des Lammes. Denn es ist gekommen der große Tag seines Zorns, und wer kann bestehen?“ (Offb. 6, 15-17.)
Das
höhnische Gespött hat aufgehört. Lügende Lippen sind zum Schweigen gebracht.
Das Waffengeklirr und Schlachtgetümmel und alles Ungestüm und die blutigen
Kleider sind verschwunden. (Jes. 9, 5.) Nur die Stimme des Gebets und Laute des
Weinens und Wehklagens werden jetzt vernommen. Von den Lippen der jüngst noch
Spottenden ertönt der Schrei: „Es ist gekommen der große Tag seines Zorns,
und wer kann bestehen?“ Die Gottlosen bitten, eher unter den Felsen der Berge
begraben zu werden, als dem Angesicht dessen zu begegnen, den sie verachtet und
verworfen haben.
Sie
kennen jene Stimme, welche das Ohr der Toten durchdringt. Wie oft hat ihr
sanfter, flehender Ton sie zur Buße gerufen! Wie oft ist sie in den rührenden
Bitten eines Freundes, eines Bruders, eines Erlösers vernommen worden! Den
Verwerfern seiner Gnade könnte keine andere Stimme so voll von Verdammung, so
urteilsschwer sein als jene, die solange gefleht hat: „So bekehret euch doch
nun von eurem bösen Wesen. Warum wollt ihr sterben?“ (Hes. 33, 11.) Ach, daß
es für sie die Stimme eines Fremdlings wäre! Jesus sagt: „Weil ich denn
rufe, und ihr weigert euch; ich recke meine Hand aus, und niemand achtet darauf,
und laßt fahren allen meinen Rat und wollet meine Strafe nicht.“ (Spr. 1, 24.
25.) Jene Stimme erweckt Erinnerungen, die sie gern austilgen möchten
verachtete Warnungen, abgeschlagene Einladungen, geringgeschätzte Vorrechte.
Dort
sind die, welche Christum in seiner Erniedrigung verspotteten. Mit
durchdringender Macht kommen ihnen die Worte des Dulders ins Gedächtnis, die
er, von dem Hohenpriester beschworen, feierlich erklärte: „Von nun an
wird’s geschehen, daß ihr sehen werdet des Menschen Sohn sitzen zur Rechten
der Kraft und kommen in den Wolken des Himmels.“ (Matth. 26, 64..) Jetzt
erblicken sie ihn in seiner Herrlichkeit, und sie müssen ihn noch sehen zur
Rechten der Kraft sitzen.
Die
seinen Anspruch, der Sohn Gottes zu sein, verspotteten, sind nun sprachlos. Da
ist der hochmütige Herodes, der über seinen königlichen Titel spottete und
den höhnenden Soldaten befahl, ihn zum König zu krönen. Da sind ganz
dieselben Männer, die mit verruchten Händen das purpurne Gewand um seine
Gestalt legten und auf seine heilige Stirn die Dornenkrone setzen; die in seine
widerstandslose Hand das Zepter des Spottes gaben und sich in gotteslästerlichen
Hohnreden vor ihm beugten. Die Männer,
welche den Fürsten des Lebens schlugen und anspieen, wenden sich nun von seinem
durchdringenden Blick ab und versuchen, aus der überwältigenden Herrlichkeit
seiner Gegenwart zu fliehen. Die Knechte, welche die Nägel durch seine Hände
und Füße trieben, der Soldat, der seine Seite durchstach, sehen diese Male mit
Schrecken und Gewissensbissen.
Mit
schrecklicher Deutlichkeit erinnern sich die Priester und Obersten der
Ereignisse auf Golgatha. Mit Schaudern und Schrecken gedenken sie daran, wie sie
in satanischem Frohlocken ihr Haupt schüttelnd ausriefen: „Andern hat er
geholfen, und kann sich selber nicht helfen. Ist er der König Israels, so
steige er nun vom Kreuz, so wollen wir ihm glauben. Er hat Gott vertraut, der
erlöse ihn nun, hat er Lust zu ihm.“ (Matth. 27, 42. 43.)
Lebhaft
erinnern sie sich des Gleichnisses des Heilandes von den Weingärtnern, welche
sich weigerten, ihrem Herrn die Frucht des Weinberges zu geben, seine Knechte mißhandelten
und seinen Sohn erschlugen. Auch gedenken sie des Ausspruches, welchen sie
selbst äußerten: Der Herr des Weinberges „wird diese Bösewichter übel
umbringen.“ In der Sünde und Strafe jener untreuen Männer sehen die Priester
und Ältesten ihr eigenes Benehmen und ihre eigene gerechte Verurteilung. Und
jetzt erhebt sich ein Schrei der Todesangst. Lauter als der Ruf: „Kreuzige
ihn! kreuzige ihn!“, der in den Straßen Jerusalems ertönte, erschallt der
schreckliche, verzweiflungsvolle Wehruf: „Es ist Gottes Sohn! Es ist der wahre
Messias!“ Die bemühen sich, aus der Gegenwart des Königs aller Könige zu
fliehen. In den tiefen Höhlen der Erde, welche sich durch den Aufruhr der
Elemente bildeten, versuchen sie umsonst sich zu verbergen.
In
dem Leben aller, welche die Wahrheit verwerfen, gibt es Augenblicke, da das
Gewissen erwacht, da das Gedächtnis qualvolle Erinnerungen an Taten und Worte
der Heuchelei vorhält und die Seele von Reue geplagt wird. Aber was sind diese,
verglichen mit den Gewissensbissen jenes Tages, wenn „Angst und Not kommt,“
wenn das „Unglück als ein Wetter“ kommt. (Spr. 1, 27.) Die
Christus und seine Nachfolger gern umgebracht hätten, sehen nun die
Herrlichkeit, die auf ihnen ruht. Inmitten des Schreckens hören sie die Stimmen
der Heiligen in freudigen Akkorden ausrufen: „Siehe, das ist unser Gott, auf
den wir harren, und er wird uns helfen.“ (Jes. 25,9.)
Während des Schwankens der Erde, des Zuckens der Blitze und des Grollens
des Donners ruft die Stimme des Sohnes Gottes die schlafenden Heiligen hervor.
Er blickt auf die Gräber der Gerechten und ruft dann, seine Hand zum Himmel
erhebend: „Erwachet, erwachet, erwachet, die ihr im Staube schlaft, und stehet
auf!„ Über die Länge und Breite der Erde hin werden die Toten diese Stimme hören,
und die sie hören, werden leben. Und die ganze Erde dröhnt von den Tritten der
außerordentlich großen Schar aus allen Heiden, Geschlechtern, Völkern und
Sprachen. Aus den Gefängnissen des Todes kommen sie, angetan mit unsterblicher
Herrlichkeit und rufen: Tod, wo ist dein Stachel? Hölle, wo ist dein Sieg?“
(l. Kor. 15, 55.) Und die lebenden Gerechten und die auferstandenen Heiligen
vereinen ihre Stimmen in einem langen fröhlichen Siegesruf.
Alle kommen in derselben Größe aus ihren Gräbern, wie sie hineingelegt
wurden. Adam, der mitten unter der auferstandenen Schar steht, ist von erhabener
Höhe und majestätischer Gestalt, nur wenig kleiner als der Sohn Gottes. Er
bietet einen auffallenden Gegensatz zu dem Volk späterer Geschlechter; in
dieser einen Beziehung sieht man die große Entartung des Menschengeschlechtes.
Alle aber stehen auf in der Frische und Kraft ewiger Jugend.
Im Anfang wurde der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen, nicht nur in
Charakter, sondern auch in Gestalt und Aussehen. Die Sünde hat das göttliche
Bild entstellt und beinahe verwischt; aber Christus kam, um das, was verloren
gegangen war, wiederherzustellen. Er wird unseren nichtigen Leib verwandeln und
ihn seinem verklärten Leibe ähnlich machen. Die sterbliche, vergängliche
Gestalt, der Anmut entblößt, einst mit Sünde befleckt, wird vollkommen, schön
und unsterblich. Alle Fehler und Mißgestaltungen werden im Grab gelassen.
Wieder zum Baum des Lebens in dem lange verlorenen Paradiese zugelassen, werden
die Erlösten zunehmen, bis sie zu der vollen Größe des Menschengeschlechtes
in seiner ursprünglichen Herrlichkeit herangewachsen sind. Die letzten noch
gebliebenen Spuren des Fluches der Sünde werden beseitigt, und die Getreuen
Christi erscheinen in der Herrlichkeit des Herrn, unseres Gottes, an Geist,
Seele und Leib und werden das vollkommene Bild ihr Herrn widerstrahlen. 0,
wunderbare Erlösung, lange besprochen, lange erhofft, mit eifriger Erwartung
betrachtet, aber nie völlig verstanden!
Die lebenden Gerechten werden „plötzlich, in einem Augenblick,“
verwandelt. Beim Ertönen der Stimme Gottes wurden sie verherrlicht; nun werden
sie unsterblich gemacht und mit den auferstandenen Heiligen dem Herrn entgegen
gerückt in der Luft. Die Engel werden „versammeln seine Auserwählten von den
vier Winden, von dem Ende der Erde bis zum Ende des Himmels.“ (Mark. 13, 27.)
Kleine Kinder werden von den heiligen Engeln in die Arme ihrer Mütter getragen.
Freunde, die der Tod lange getrennt hat, werden vereint, um nie mehr zu
scheiden, und gemeinsam steigen sie mit Freudengesängen auf zu der Stadt
Gottes.
Auf jeder Seite des Wolkenwagens sind Flügel, und unter ihm sind lebendige Räder, und wenn der Wagen aufwärts rollt, rufen die Räder: „Heilig!“, und die Flügel, indem sie sich bewegen, rufen: „Heilig!“, und das Gefolge der Engel ruft: „Heilig, heilig, heilig ist Gott der Herr, der Allmächtige.“ Und die Erlösten rufen „Halleluja!“ indem der Wagen sich aufwärts nach dem neuen Jerusalem bewegt.
Vor dem Einzug in die Gottesstadt verleiht der Heiland seine Nachfolgern die
Auszeichnungen des Sieges und kleidet sie mit de Abzeichen ihres königlichen
Standes. Die glänzenden Reihen werden in Form eines offenen Vierecks
aufgestellt, um ihren König herum, dessen Gestalt sich hoheitsvoll über die
Heiligen und Engel erhebt und dessen Antlitz voll wohlwollender Liebe auf alle
strahlt. Von dieser unzähligen
Schar der Erlösten ist eines jeglichen Blick auf ihn gerichtet, jedes Auge
schaut seine Herrlichkeit, dessen Gestalt häßlicher... denn andrer Leute und
sein Aussehen denn der Menschenkinder war. (Jes. 52, 14.) Auf
die Häupter der Überwinder setzt der Heiland mit eigener Hand die Krone der
Herrlichkeit. Jeder erhält eine Krone, welche seinen eigenen „neuen Namen“
(Offb. 2, 17) und die Inschrift trägt: „Heilig dem Herrn!“ In jede Hand
wird die Siegespalme und die leuchtende Harfe gelegt. Dann, indem die
leitenden Engel den Ton angeben, gleitet jede Hand geschickt über die
Harfensaiten und entlockt ihnen liebliche Musik in reichen melodischen Akkorden.
Unaussprechliche Wonne entzückt jedes Herz, und jede Stimme erhebt sich in
dankbarem Lobgesang: Dem, „der uns geliebt hat und gewaschen von den Sünden
mit seinem Blut und hat uns zu Königen und Priestern gemacht vor Gott und
seinem Vater; demselbigen sei Ehre und Gewalt von Ewigkeit zu Ewigkeit! Amen.“
(Offb. 1, 5. 6.)
Vor der erlösten Schar liegt die Heilige Stadt. Jesus öffnet die Perlentore weit, und die Seligen, welche die Wahrheit gehalten haben, ziehen ein. Dort schauen Sie das Paradies Gottes, die Heimat Adams in seiner Unschuld. Und nun ertönt jene Stimme, reicher als irgendwelche Musik, die je an eines Sterblichen Ohr schlug, und sagt: Euer Kampf ist beendet! „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters, ererbet das Reich, das euch bereitet ist von Anbeginn der Welt!“
Nun geht das Gebet des Heilandes für seine Jünger in Erfüllung: „Ich will, daß wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast.“ Christus bringt dem Vater den Erlös seines Blutes, „ohne Fehl... vor das Angesicht seiner Herrlichkeit unsträflich mit Freuden“ (Jud. 24) und erklärt: „Hier bin ich und die Kinder, die mir der Herr gegeben hat.“ „Die du mir gegeben hast, die habe ich bewahrt.“ O die Wunder der erlösenden Liebe! Die Wonne jener Stunde, wenn der ewige Vater auf die Erlösten blickend sein Ebenbild sieht, der Mißklang der Sünde beseitigt, der Bannfluch hinweg genommen und das Menschliche wiederum in Einklang mit dem Göttlichen gebracht!
Mit unaussprechlicher Liebe heißt Jesus seine Getreuen zu der „Freude
ihres Herrn“ willkommen. Des Heilandes Freude aber besteht darin, daß er in
dem Reich der Herrlichkeit die Seelen sieht, welche durch sein Leiden und seine
Erniedrigung errettet worden sind. Und die Erlösten werden an dieser Freude
teilhaben, indem sie unter den Seligen diejenigen wahrnehmen, welche durch ihre
Gebete, ihre Arbeit und ihre Opfer der Liebe für Christum gewonnen wurden.
Wenn sie sich um den großen weißen Thron versammeln, wird eine
unaussprechliche Freude ihre Herzen erfüllen, denn sie erblicken nicht nur die,
welche sie zum Herrn gebracht haben, sondern erkennen auch, daß diese
ihrerseits Seelen, und diese wiederum andere gewonnen haben, die nun alle in den
Hafen der Ruhe gebracht, ihre Kronen zu Jesu Füßen niederlegen, um ihn in den
endlosen Zeiten der Ewigkeit zu loben.
Wenn die Erlösten in der Stadt Gottes willkommen geheißen werden,
durchdringt ein frohlockender Jubelruf der Anbetung die Luft. Der erste und der
zweite Adam sind im Begriff sich zu begegnen.
Der Sohn Gottes steht mit ausgestreckten Armen, um den Vater unseres
Geschlechtes zu empfangen - das Wesen, welches er schuf, welches gegen seinen
Schöpfer sündigte, um dessen Sünden willen der Heiland die Zeichen der
Kreuzigung trägt. Wenn Adam die Spuren der grausamen Nägel erkennt, fällt er
nicht an die Brust seines Herrn, sondern wirft sich demütig zu seinen Füßen
und ruft: „Würdig, würdig ist das Lamm, das erwürget ist!“ Zärtlich hebt
der Heiland ihn auf und bittet ihn, wiederum seine Heimat in Eden zu schauen,
aus welcher er so lange verbannt gewesen ist.
Nach seiner Vertreibung aus Eden war Adams Leben auf Erden voll Kummer; jedes welkende Blatt, jedes Opfertier, jede Trübung in der schönen Natur, jeder Makel an der Reinheit des Menschen erinnerte ihn aufs neue an seine Sünde. Schrecklich war der Schmerz der Reue, als er die überhandnehmende Gottlosigkeit sah und in Antwort auf seine Warnungen die Vorwürfe hinnehmen mußte, daß er die Veranlassung zur Sünde sei. Mit geduldiger Demut trug er beinahe tausend Jahre die Strafe der Übertretung. Aufrichtig bereute er seine Sünde, vertraute auf die Verdienste des verheißenen Heilandes und starb in der Hoffnung auf eine Auferstehung. Der Sohn Gottes machte des Menschen Fehltritt und Fall wieder gut, und nun wird Adam durch das Werk der Versöhnung wieder in seine erste Herrschaft eingesetzt.
Entzückt vor Freude betrachtet er die Bäume, welche einst sein Ergötzen
waren, - ganz dieselben Bäume, von welchen er in den Tagen seiner Unschuld und
des Glückes Früchte brach. Er sieht die Reben, welche seine eigenen Hände
gezogen haben, dieselben Blumen, die er so gern pflegte. Sein Geist erfaßt die
Wirklichkeit des Anblicks; er begreift, daß dies in der Tat das
wiederhergestellte Eden ist, viel schöner jetzt, als da er daraus verbannt
wurde. Der Heiland führt
ihn zum Baum des Lebens, bricht die herrliche Frucht und bittet ihn zu essen. Er
blickt um sich und sieht viele Glieder seiner Familie erlöst im Paradiese
Gottes. Jetzt legt er seine glänzende Krone zu den Füßen Jesu, fällt an
seine Brust und umarmt den Erlöser. Er greift in die goldene Harfe, und die Gewölbe
des Himmels widerhallen den triumphierenden Gesang: „Würdig, würdig, würdig
ist das Lamm, das erwürgt wurde und lebt wiederum!“ Adams Familie stimmt in
die Musik ein, und alle legen die Kronen zu des Heilandes Füßen und beugen
sich vor ihm in Anbetung.
Diese Wiedervereinigung wird von den Engeln gesehen, welche über Adams Fall weinten und sich freuten, als Jesus nach seiner Auferstehung gen Himmel fuhr, nachdem er das Grab geöffnet hatte für alle, die an seinen Namen glauben würden. Nun sehen sie das Werk der Erlösung vollendet und stimmen mit in den Lobgesang ein.
Auf dem kristallenen Meer vor dem Thron - jenem gläsernen Meer, als wäre
es mit Feuer vermengt, so glänzend ist es von der Herrlichkeit Gottes - steht
die Schar derer, „die den Sieg behalten hatten an dem Tier und seinem Bilde
und seinem Malzeichen und seines Namens Zahl.“ (Offb. 15, 2.)
Auf dem Berge Zion stehen mit dem Lamm die Hundertvierundvierzigtausend, die aus
den Menschen erlöst wurden, und haben Harfen Gottes; und man hört eine Stimme
wie eines großen Wassers und wie die Stimme eines großen Donners die Stimme
„der Harfenspieler, die auf ihren Harfen spielen.“ (Offb. 14, 1-3; 15, 3.) Sie
singen „ein neues Lied“ vor dem Stuhl, ein Lied, das niemand lernen kann
ausgenommen die 144000. Es ist das Lied Moses und des Lammes, ein Lied der
Befreiung. Niemand außer den 144000 kann dies Lied lernen, denn es ist das Lied
ihrer Erfahrung, und niemand anders hat eine solche Erfahrung gehabt wie sie.
Diese sind’s, die dem Lamm nachfolgen, wo es hingeht. Sie werden, da sie aus
den Lebendigen von der Erde entrückt wurden, zu „Erstlingen Gott und dem
Lamm“ erachtet. (Offb. 14, 4.) „Diese sind’s, die gekommen sind aus großer
Trübsal“ (Offb. 7, 14); sie haben die trübselige Zeit, solche, wie sie nie
auf Erden war, seit Menschen darauf wohnen, durchgemacht; sie haben die Angst
der Zeit der Trübsal Jakobs ausgehalten; sie haben während der letzten Ausgießung
der Gerichte Gottes ohne Vermittler dagestanden. Aber sie sind befreit worden,
denn sie „haben ihre Kleider gewaschen und haben ihre Kleider helle gemacht im
Blut des Lammes.“ „Und in ihrem Munde ist kein Falsch gefunden, denn sie
sind unsträflich vor dem Stuhl Gottes.“ „Darum sind sie vor dem Stuhl
Gottes und dienen ihm Tag und Nacht in seinem Tempel; und der auf dem Stuhl
sitzt, wird über ihnen wohnen.“ (Offb. 14, 5; 7, 15.) Sie haben gesehen, wie
die Erde durch Hungersnot und Pestilenz verwüstet wurde, wie die Sonne Macht
hatte, die Menschen mit großer Hitze zu quälen, und sie selbst haben Leiden,
Hunger und Durst erduldet. Aber „sie
wird nicht mehr hungern noch dürsten; es wird auch nicht auf sie fallen die
Sonne oder irgendeine Hitze; denn das Lamm mitten im Stuhl wird sie weiden und
leiten zu lebendigen Wasserbrunnen, und Gott wird abwischen alle Tränen von
ihren Augen.“ (Offb. 7, 16. 17.)
Zu allen Zeiten sind die Auserwählten des Heilandes in der Schule der Prüfung erzogen und ausgebildet worden. Sie wandelten auf Erden schmale Wege; sie wurden in dem Feuerofen der Trübsal gereinigt. Um Jesu willen ertrugen sie Widerstand, Haß, Verleumdung. Sie folgten ihm durch schmerzliche Kämpfe; sie ertrugen Selbstverleugnung und machten bittere Enttäuschungen durch. Aus ihrer eigenen bitteren Erfahrung lernten sie das Übel der Sünde, deren Macht, Strafbarkeit und Wehe kennen und sie mit Abscheu betrachten. Ein Bewußtsein des unendlichen Opfers, das zu ihrer Heilung gebracht wurde, demütigte sie in ihren eigenen Augen und füllte ihre Herzen mit Dankbarkeit und Preis, wie die, die nie gefallen sind, es nicht würdigen können. Sie lieben viel, weil ihnen viel vergeben worden ist. Da sie Teilhaber der Leiden Christi gewesen sind, können sie jetzt auch an seiner Herrlichkeit teilnehmen.
Die
Erben Gottes sind aus Dachkammern, aus Hütten, aus Gefängniszellen, von
Schafotten, von Bergen, aus Wüsten, aus Grüften der Erde, aus den Höhlen am
Meer gekommen. Auf Erden „sind sie umhergegangen mit Mangel, mit Trübsal, mit
Ungemach.“ Millionen stiegen mit Schmach bedeckt in das Grab, weil sie sich
standhaft weigerten, den trügerischen Ansprüchen Satans nachzugeben. Von
menschlichen Gerichten wurden sie zu den verkommensten Verbrechern gezählt.
Aber jetzt ist Gott Richter. (Ps. 50, 6.) Nun werden irdische Urteile umgekehrt.
Er „wird aufheben die Schmach seines Volks.“ „Man wird sie nennen das
heilige Volk, die Erlösten des Herrn.“ (Jes. 25, 8; Jes. 62, 12.) Er hat
verordnet, daß „ihnen Schmuck für Asche und Freudenöl für Traurigkeit und
schöne Kleider für einen betrübten Geist gegeben werden.“ (Jes. 61, 3.) Sie
sind nicht mehr schwach, betrübt, zerstreut und unterdrückt. Von nun an sollen
sie immer beim Herrn sein. Sie stehen vor
dem Thron mit reicheren Gewändern angetan als die Geehrtesten auf Erden sie je
getragen haben. Sie sind mit herrlicheren Kronen geschmückt, als sie je auf die
Stirn irdischer Herrscher gesetzt wurden. Die Tage der Schmerzen und des Weinens
sind für immer vorüber. Der König der Herrlichkeit hat die Tränen von allen
Angesichtern abgewischt; jede Ursache des Kummers ist beseitigt worden. Unter
dem Wehen der Palmzweige lassen sie einen hellen, lieblichen, harmonischen
Lobgesang ertönen; alle Stimmen nehmen die Melodie auf, bis der Chor durch die
Gewölbe des Himmels anschwillt: „Heil sei dem, der auf dem Stuhl sitzt,
unserm Gott und dem Lamm!“ Und alle Bewohner des Himmels antworten mit dem
Zuruf: „Amen! Lob und Ehre und Weisheit und Dank und Preis und Kraft und Stärke
sei unserm Gott, von Ewigkeit zu Ewigkeit.“ (Offb. 7, 10. 12.)
In
diesem Leben fangen wir nur an, den wunderbaren Gegenstand der Erlösung zu
verstehen. Mit unserem beschränkten Verstand können wir ernstlich die Schande
und die Herrlichkeit, das Leben und den Tod, die Gerechtigkeit und die Gnade,
welche sich im Kreuze begegnen, betrachten, und ermangeln doch trotz der äußersten
Anstrengung unserer Geisteskräfte, deren volle Bedeutung zu erfassen. Die Länge
und Breite, die Höhe und Tiefe der erlösenden Liebe werden nur dunkel
begriffen. Der Erlösungsplan wird selbst dann nicht völlig verstanden werden,
wenn die Erlösten sehen, wie sie gesehen, und erkennen, wie sie erkannt werden;
sondern durch die Zeitalter der Ewigkeit hindurch werden dem staunenden und entzückten
Gemüt stets neue Wahrheiten eröffnet werden. Obwohl der Kummer, die Schmerzen
und Versuchungen der Erde beendet sind und deren Ursache entfernt ist, wird
Gottes Volk doch stets eine deutliche, einsichtsvolle Kenntnis davon haben, was
seine Seligkeit gekostet hat.
Das
Kreuz Christi wird in Ewigkeit die Wissenschaft und der Gesang der Erlösten
sein. In dem verherrlichten Christus werden sie den gekreuzigten Christus sehen.
Nie wird es vergessen werden, daß er, dessen Macht in dem unendlichen
Bereich des Himmelsgewölbes die unzähligen Welten schuf und erhielt, der
Geliebte Gottes, die Majestät des Himmels, er, den Cherubim und glänzende
Seraphim freudig anbeteten, - sich erniedrigte, um den gefallenen Menschen zu
erheben; daß er die Schuld und Schande der Sünde und das Verbergen des
Antlitzes seines Vaters ertragen, bis das Wehe über eine verlorene Welt sein
Herz brach und sein Leben auf Golgathas Kreuz erstickte. Daß er, der alle
Welten schuf und jedes Geschick entscheidet, seine Herrlichkeit beiseite legen
und sich aus Liebe zu den Menschen so sehr demütigen konnte, wird stets das
Erstaunen und die Verehrung des Weltalls wachrufen. Wenn die Scharen der
Erretteten auf ihren Erlöser sehen und die ewige Herrlichkeit des Vaters auf
seinem Angesicht erblicken, wenn sie seinen Thron schauen, welcher von Ewigkeit
zu Ewigkeit gegründet ist, und wissen, daß sein Reich kein Ende nehmen soll,
brechen sie in den entzückenden Gesang aus: „Würdig, würdig ist das Lamm,
das erwürget wurde, und uns mit Gott versöhnt hat durch sein eigenes köstliches
Blut.“
Das Geheimnis des Kreuzes erklärt alle anderen Geheimnisse. In dem Licht, welches von Golgatha leuchtet, erscheinen die Eigenschaften Gottes, welche uns mit Furcht und Scheu erfüllten, schön und anziehend. Gnade, Zärtlichkeit und väterliche Liebe sieht man mit Heiligkeit, Gerechtigkeit und Macht vereint. Während wir die Majestät seines hohen und erhabenen Thrones betrachten, sehen wir seinen Charakter in seinen gnädigen Offenbarungen und verstehen wie nie zuvor die Bedeutung des lieblichen Namens: Unser Vater.
Man
wird sehen, daß er, der unendlich in Weisheit ist, keinen anderen Plan für
unsere Seligkeit ersinnen konnte als die Opferung seines Sohnes. Der Lohn für
dies Opfer ist die Freude, die Erde mit erlösten, heiligen, glücklichen und
unsterblichen Wesen zu bevölkern. Die Folge des Kampfes unseres Heilandes mit
den Mächten der Finsternis ist die Freude der Erlösten, welche in Ewigkeit zur
Verherrlichung Gottes widerhallt. Und so groß ist der Wert der Seele, daß der
Vater durch den bezahlten Preis entschädigt ist und Christus selbst Genugtuung
empfindet, wenn er die Früchte seines großen Opfers sieht.