DIE REFORMATION IN FRANKREICH

12     Ludwig von Berquin war ein großer Ritter in Frankreich - bis er Christus fand. Was er in gefunden hatte, war für ihn so kostbar, daß er willig war, dafür zu sterben.

Er war nicht der Einzige, der seine Treue mit dem Blut bezahlen mußte in der Geschichte der Französischen Reformation.


Willig, zu sterben

 

Dem Protest zu Speier und der Konfession zu Augsburg, welche den Sieg der Reformation in Deutschland bezeichneten, folgten Jahre des Kampfes und der Finsternis. Geschwächt durch Uneinigkeiten unter ihren Verteidigern und von gewaltigen Feinden bestürmt, schien der Protestantismus bestimmt zu sein, vollständig vernichtet zu werden. Tausende besiegelten ihr Zeugnis mit ihrem Blut. Bürgerkriege brachen aus, und die protestantische Sache wurde von einem ihrer vornehmsten Anhänger verraten, die edelsten der reformierten Fürsten fielen in die Hände des Kaisers und wurden als Gefangene von Stadt zu Stadt geschleppt. Aber im Augenblick seines scheinbaren Sieges wurde der Kaiser von einer Niederlage betroffen. Er sah den Raub seinen Händen entrissen und war schließlich genötigt, den Lehren, deren Vernichtung er sich zur Lebensaufgabe gestellt hatte, Duldung zu gewähren. Er hatte sein Reich, seine Schätze und selbst das Leben aufs Spiel gesetzt, um die Ketzerei zu vertilgen. Jetzt sah er seine Heere durch Schlachten aufgerieben, seine Schätze erschöpft, die vielen Teile seines Reiches von Empörung bedroht, während sich der Glaube, den er vergebens zu unterdrücken versucht hatte, überall ausbreitete. Karl V. hatte gegen die Macht des Allmächtigen gekämpft. Gott hatte gesagt: Es werde Licht; aber der Kaiser hatte danach getrachtet, die Finsternis unerhellt zu erhalten. Seine Absichten waren fehlgeschlagen, und in einem vorzeitigen Alter, erschöpft von dem langen Kampf, entsagte er dem Thron und zog sich in ein Kloster zurück.

Es kamen in der Schweiz und auch in Deutschland dunkle Tage für die Reformation. Während viele Kantone den reformierten Glauben annahmen, hingen andere mit blinder Beharrlichkeit an dem Glaubensbekenntnis Roms und verfolgten die, welche die Wahrheit anzunehmen wünschten, wodurch schließlich ein Bürgerkrieg entstand. Zwingli und viele, die sich mit ihm in der Reformation verbunden hatten, fielen auf dem blutigen Schlachtfeld von Kappel. Ökolampad, von diesem furchtbaren Mißgeschick überwältigt, starb bald darauf. Rom jubelte und schien an vielen Orten alles, was es verloren hatte, wiederzugewinnen. Er aber, dessen Ratschlüsse von Ewigkeit her sind, hatte weder seine Sache noch sein Volk verlassen. Seine Hand brachte ihnen Befreiung. Er hatte schon in anderen Ländern Arbeiter erweckt, um die Reformation fortzuführen.

In Frankreich hatte der Tag bereits zu dämmern angefangen, ehe man von dem Namen Luthers als eines Reformators etwas vernommen hatte. Einer der ersten, der das Licht erfaßte, war der bejahrte Lefevre, ein Mann von umfassender Gelehrsamkeit, ein Professor an der Universität von Paris, ein aufrichtiger und eifriger Anhänger des Papsttums. Bei seinen Forschungen in der alten Literatur wurde er auf die Bibel aufmerksam gemacht, und er führte ihr Studium bei seinen Schülern ein.

Lefevre war ein eifriger Verehrer der Heiligen und hatte es unternommen, eine Geschichte der Heiligen und Märtyrer nach den Legenden der Kirche zu verfassen. Dies war eine mühsame Arbeit, und er hatte bereits darin bedeutende Fortschritte gemacht, als er mit dem Gedanken, daß die Bibel ihm gute Dienste leisten könne, sie in dieser Absicht zu erforschen begann. Hier fand er in der Tat Heilige beschrieben, aber nicht solche, wie der römische Kalender sie angab. Eine Flut göttlichen Lichtes erleuchtete seinen Verstand. Mit Erstaunen und Widerwillen wandte er sich von seiner geplanten Aufgabe ab und widmete sich dem Worte Gottes. Bald fing er an, die köstlichen daselbst entdeckten Wahrheiten zu lehren.

Im Jahre 1512, ehe weder Luther noch Zwingli das Werk der Reformation angefangen hatten, schrieb Lefevre: „Gott allein gibt uns die Gerechtigkeit durch den Glauben, rechtfertigt uns allein durch seine Gnade zum ewigen Leben.“ (D’Aubigné, 12. Buch, 2. Kap., S. 290f., Stuttgart.) Sich in die Geheimnisse der Erlösung vertiefend, rief er aus: „O wunderbarer Austausch: die Unschuld wird verurteilt, der Schuldige freigesprochen; der Gesegnete verflucht, der Verfluchte gesegnet, das Leben stirbt, der Tote erhält das Leben; die Ehre ist mit Schmach bedeckt, der Geschmähte wird geehrt.“ (Ebd.)

Und während er lehrte, daß die Ehre der Erlösung nur Gott zukomme, erklärte er auch, daß die Pflicht des Gehorsams dem Menschen obliege. „Bist du der Kirche Christi angehörig,“ sagte er, „so bist du ein Glied am Leibe Christi und als solches mit Göttlichkeit erfüllt. ... Wenn die Menschen dieses Vorrecht begriffen, so würden sie sich rein, keusch und heilig halten, alle Ehre dieser Welt für eine Schmach achten, im Vergleich zu der inneren Herrlichkeit, welche den fleischlichen Augen verborgen ist.“ (Ebd.)

Unter Lefevres Schülern befanden sich etliche, welche eifrig seinen Worten zuhörten, und die lange, nachdem die Stimme des Lehrers zum Schweigen gebracht worden war, fortfahren sollten, die Wahrheit zu verkündigen. Zu diesen gehörte Wilhelm Farel. Der Sohn frommer Eltern und erzogen, die Lehren der Kirche mit unbedingtem Glauben anzunehmen, hätte er mit dem Apostel Paulus von sich selbst erklären können: „Ich bin ein Pharisäer gewesen, welches ist die strengste Sekte unseres Gottesdienstes.“ (Apg. 26, 5.) Als ergebener Anhänger Roms brannte er vor Eifer, alle, die es wagten, sich der Kirche zu widersetzen, zu vernichten. „Ich knirschte mit den Zähnen wie ein wütender Wolf, wenn sich irgendeiner gegen den Papst äußerte“ (Wylie, 2. Bd., 2. Kap., S. 129, London) sagte er später über diesen Abschnitt seines Lebens. Er war unermüdlich gewesen in seiner Verehrung der Heiligen und hatte gemeinschaftlich mit Lefevre die Runde in den Kirchen gemacht, wo er an den Altären anbetete und die Heiligenschreine mit Gaben schmückte. Aber diese äußerliche Frömmigkeit konnte ihm keinen Seelenfrieden verschaffen. Ein Bewußtsein der Sünde, welches alle Bußübungen, die er sich auflegte, nicht verbannen konnten, bemächtigte sich seiner. Wie auf eine Stimme vom Himmel lauschte er auf die Worte des Reformators: „Das Heil ist aus Gnaden; der Unschuldige wird verurteilt, der Schuldige freigesprochen.“ „Das Kreuz Christi allein öffnet den Himmel, schließt allein das Tor der Hölle. “ (Ebd. Siehe auch (D’Aubigné, 12. Buch, 3. Kap. S. 294.)

Freudig nahm Farel die Wahrheit an. Durch eine Bekehrung, die derjenigen Pauli ähnlich war, wandte er sich von der Knechtschaft menschlicher Satzungen zu der Freiheit der Kinder Gottes und „war so umgewandelt, daß er nicht mehr die Mordlust eines wilden Wolfes hatte, sondern einem sanften Lamme glich, nachdem er sich vom Papst entfernt und ganz Christo hingegeben hatte.“ (Ebd., S. 295.)

Während Lefevre fortfuhr, das Licht unter seinen Schülern auszubreiten, trat Farel, der in dem Werk Christi ebenso eifrig war wie ehedem in jenem des Papstes, öffentlich auf, um die Wahrheit zu verkündigen. Ein Würdenträger der Kirche, der Bischof von Meaux, schloß sich bald darauf ihnen an; andere Lehrer, die wegen ihrer Fähigkeiten und ihrer Gelehrsamkeit hohes Ansehen genossen, vereinten sich mit ihnen in der Verkündigung des Evangeliums, und es gewann Anhänger unter allen Ständen, von der Wohnung des Handwerkers und des Bauern an bis zum Palast des Königs. Die Schwester Franz 1., der damals auf dem Thron saß, nahm den reformierten Glauben an. Der König und die Königin-Mutter schienen ihn eine Zeitlang günstig anzusehen, und mit großen Hoffnungen sahen die Reformatoren der Zeit entgegen, da Frankreich für das Evangelium gewonnen sein würde.

Aber ihre Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen. Prüfungen und Verfolgungen standen den Jüngern Christi bevor, obgleich sie vor ihren Augen gnädig verhüllt waren. Eine Zeit des Friedens trat ein, auf daß sie Kraft gewönnen, dem Sturm zu begegnen, und die Reformation machte rasche Fortschritte. Der Bischof von Meaux bemühte sich eifrig in seinem Kirchsprengel, sowohl die Geistlichen als auch das Volk zu unterweisen. Unwissende oder unsittliche Priester wurden entlassen, und soweit wie möglich durch Männer von Bildung und Frömmigkeit ersetzt. Der Bischof wünschte sehr, daß seine Leute selbst Zugang zum Worte Gottes haben möchten, und dies wurde bald erreicht. Lefevre unternahm die Übersetzung des Neuen Testaments, und gerade zu derselben Zeit, als Luthers deutsche Bibel in Wittenberg die Presse verließ, wurde zu Meaux das französische Neue Testament veröffentlicht. Der Bischof sparte weder Mühe noch Ausgaben, um es in seinen Pfarreien zu verbreiten, und bald waren die Bauern von Meaux im Besitz der Heiligen Schrift.

Wie der vor Durst verschmachtende Reisende mit Freuden eine sprudelnde Wasserquelle begrüßt, so nahmen diese Seelen die Botschaft des Himmels auf. Die Arbeiter auf dem Felde und die Handwerker in ihren Werkstätten erleichterten sich die tägliche Arbeit, indem sie von den köstlichen Wahrheiten der Bibel redeten. Statt am Abend ins Wirtshaus zu gehen, versammelten sie sich in ihren Wohnungen, um das Wort Gottes zu lesen und sich zu Gebet und Lobpreisungen zu vereinen. Bald machte sich in diesen Gemeinden eine große Veränderung bemerkbar. Obwohl sie der bescheidensten Klasse angehörten, ungeschult waren und schwere Landarbeit verrichteten, wurde doch die umgestaltende, erhebende Kraft der göttlichen Gnade in ihrem Leben sichtbar. Demütig, liebend und heilig standen sie als Zeugen da von dem, was das Evangelium für alle vollbringt, die es aufrichtig annehmen.

Das zu Meaux angezündete Licht ließ seine Strahlen weit hinaus leuchten. Täglich nahm die Zahl der Neubekehrten zu. Die Wut der Priesterherrschaft wurde von dem König, der den engherzigen, blinden Eifer der Mönche verachtete, eine Zeitlang im Zaum gehalten; aber schließlich gewannen die päpstlichen Führer die Oberhand. Nun wurde der Scheiterhaufen aufgerichtet. Der Bischof von Meaux, der gezwungen wurde, zwischen dem Feuer und der Widerrufung zu wählen, schlug den leichteren Weg ein. Aber trotzdem der Anführer fiel, blieb die Herde doch standhaft. Viele legten inmitten der Flammen Zeugnis für die Wahrheit ab. Durch ihren Mut und ihre Treue auf dem Scheiterhaufen sprachen diese demütigen Christen zu Tausenden, die in den Tagen des Friedens ihr Zeugnis nie vernommen hätten.

Nicht nur die Niedrigen und die Armen wagten es, inmitten von Spott und Leiden Zeugnis für Christum abzulegen. In den fürstlichen Sälen der Schlösser und Paläste gab es edle Seelen, denen die Wahrheit mehr wert war als Reichtum und Rang, ja sogar als das Leben. Die ritterliche Rüstung barg einen erhabeneren und standhafteren Geist als der Bischofsmantel und die Bischofsmütze. Ludwig von Berquin war von adliger Abkunft, ein tapferer und galanter Ritter, dem Studium zugetan, von feiner Lebensart und tadellosen Sitten. „Er war,“ sagt ein Schriftsteller, „ein höchst eifriger Beobachter aller päpstlichen Einrichtungen, wohnte aufs genauste allen Messen und Predigten bei... und setzte allen seinen übrigen Tugenden dadurch die Krone auf, daß er das Luthertum ganz besonders verabscheute.“ Doch gleich vielen anderen, die von der göttlichen Vorsehung zum Studium der Bibel geführt wurden, war er erstaunt, hier nicht etwa „die Satzungen Roms, sondern die Lehren Luthers“ (Wylie, 13. Buch, 9. Kap., S. 159.) zu finden und widmete sich von nun an ganz der Sache des Evangeliums.

Als den gelehrtesten Edelmann Frankreichs hielten viele Berquin infolge seiner Gaben und seiner Beredsamkeit, seines unbezwingbaren Mutes und seines Heldeneifers, seines Einflusses bei Hofe - denn er war ein Günstling des Königs - zum Reformator seines Vaterlandes bestimmt. Beza sagte, daß Berquin ein zweiter Luther gewesen wäre, wenn er in Franz I. einen zweiten Kurfürsten gefunden hätte. „Er ist schlimmer als Luther, “ (Ebd .), schrien die päpstlichen Anhänger. Sicherlich fürchteten die Römlinge Frankreichs ihn mehr. Sie warfen ihn als einen Ketzer ins Gefängnis, aber er wurde vom König wieder freigelassen. Jahrelang zog sich der Kampf hin. Franz, zwischen Rom und der Reformation schwankend, duldete und zügelte abwechselnd den grimmigen Eifer der Mönche. Dreimal wurde Berquin von den päpstlichen Behörden eingekerkert, jedoch von dem Monarchen, der in Bewunderung seiner Geistesgaben und seines edlen Charakters sich weigerte, ihn der Bosheit der Priesterherrschaft preiszugeben, wieder in Freiheit gesetzt.

Berquin wurde wiederholt vor der ihm in Frankreich drohenden Gefahr gewarnt, und man drang auf ihn ein, den Schritten derer zu folgen, die in einer freiwilligen Verbannung Sicherheit gefunden hatten. Der furchtsame, unbeständige Erasmus, der trotz aller seiner glänzenden Gelehrsamkeit jener moralischen Größe ermangelte, welche das Leben und die Ehre der Wahrheit unterordnet, schrieb an Berquin: „Halte darum an, als Gesandter ins Ausland geschickt zu werden. Bereise Deutschland. Du kennst Beda und seinesgleichen - er ist ein tausendköpfiges Ungeheuer, welches Gift nach allen Seiten ausspeit. Deine Feinde heißen Legion. Selbst wenn deine Sache besser wäre als Jesu Christi, so würden sie dich nicht gehen lassen, bis sie dich elendiglich umgebracht haben. Verlasse dich nicht allzusehr auf den Schutz des Königs. Auf jeden Fall bringe mich nicht in Ungelegenheiten bei der theologischen Fakultät.“ (Ebd.)

Doch als die Gefahren sich häuften, wurde Berquins Eifer um so größer. Weit davon entfernt, auf die weltklugen und eigennützigen Pläne des Erasmus einzugehen, entschloß er sich zu noch kühneren Maßregeln. Er wollte nicht nur zur Verteidigung der Wahrheit auftreten, sondern auch den Irrtum angreifen. Die Anschuldigung der Ketzerei, welche die Katholiken gegen ihn geltend zu machen suchten, wandte er gegen sie. Die tätigsten und erbittertsten seiner Gegner waren die gelehrten Doktoren und Mönche der theologischen Abteilung der großen Universität Paris, eine der höchsten kirchlichen Autoritäten sowohl in der Stadt als auch in der Nation. Den Schriften dieser Doktoren entnahm Berquin zwölf Sätze, die er öffentlich als der Heiligen Schrift zuwiderlaufend und ketzerisch erklärte; und er wandte sich an den König mit der Bitte, in der Sache zu entscheiden.

Der Monarch, der nicht abgeneigt war Scharfsinn der sich bekämpfenden Führer zu messen, freute sich, eine Gelegenheit zu haben, den Hochmut dieser stolzen Mönche zu demütigen, und gebot ihnen, ihre Sache mit der Bibel zu verteidigen. Diese Waffe, wie sie wohl wußten, konnte ihnen wenig helfen; Einkerkerung, Marterqualen und der Scheiterhaufen waren Waffen, welche sie besser zu gebrauchen verstanden. Jetzt hatte sich die Lage gewendet, und sie waren nahe daran, in die Grube zu fallen, in welche sie Berquin zu stürzen gehofft hatten. Ratlos sahen sie sich nach einem Ausweg um, auf dem sie entkommen könnten.

„Um diese Zeit war ein an einer Straßenecke angebrachtes Standbild der Jungfrau [Maria] verstümmelt worden. “ In der Stadt herrschte große Aufregung. Scharenweise strömte das Volk zu der Stätte und gab seinem Bedauern und seiner Entrüstung Ausdruck. Auch der König war tief gerührt. Hier bot sich eine Gelegenheit, aus welcher die Mönche einen großen Vorteil ziehen konnten, und sie ließen es nicht lange anstehen. „Alles geht seinem Umsturz entgegen - die Religion, die Gesetze, ja selbst der Thron - infolge dieser lutherischen Verschwörung.“ (Ebd.)

Wiederum wurde Berquin gefangengesetzt. Der König verließ Paris, und so hatten die Mönche Freiheit, nach eigenem Willen zu handeln. Der Reformator wurde verhört und zum Tode verurteilt, und damit Franz zuletzt nicht noch einschreite, ihn zu retten, wurde das Urteil am nämlichen Tage, da es ausgesprochen wurde, vollzogen. Um die Mittagsstunde führte man Berquin zum Richtplatz. Eine ungeheure Menschenmenge hatte sich versammelt, um die Hinrichtung zu sehen, und viele erkannten mit Staunen und Befürchtung, daß das Opfer aus den besten und tapfersten Adelsfamilien Frankreichs ausgewählt worden war. Bestürzung, Entrüstung, Verachtung und bitterer Haß verfinsterten die Angesichter jener wogenden Menge; aber auf einem Antlitz ruhte kein Schatten. Die Gedanken des Märtyrers weilten weit ab von jenem Schauplatz der Aufregung; er war sich nur der Gegenwart seines Herrn bewußt.

Der elende Sturzkarren, auf dem er saß, die düsteren Gesichtszüge seiner Verfolger, der schreckliche Tod, dem er entgegenging all dies beachtete er nicht. Er, der da lebt und war tot und ist lebendig von Ewigkeit zu Ewigkeit, und der die Schlüssel der Hölle und des Todes hat, war ihm zur Seite. Berquins Antlitz erstrahlte von himmlischem Frieden und Licht. „Er war mit einem Samtrock sowie mit Gewändern von Atlas und Damast angetan und trug goldgestickte Beinkleider. “ (D’Aubigné, Gesch. der Reform. zu den Zeiten Kalvins, 2. Buch, 16. Kap.) Er stand im Begriff, seinen Glauben in Gegenwart des Königs aller Könige und vor dem ganzen Weltall zu bekennen, und kein Anzeichen der Trauer sollte seine Freude Lügen strafen.

Als der Zug sich langsam durch die gedrängten Straßen bewegte, nahm das Volk mit Bewunderung den unumwölkten Frieden, die freudige Siegesgewißheit seiner Bücke und seiner Haltung wahr. „Er ist,“ sagten einige, „wie einer der in einem Tempel sitzt und über heilige Dinge nachdenkt.“ (Wylie, 13. Buch, 9. Kap.)

Auf dem Scheiterhaufen versuchte Berquin einige Worte an die Menge zu richten, aber die Mönche, die Folgen befürchtend, hoben an zu schreien, und die Soldaten klirrten mit ihren Waffen, so daß der Lärm die Stimme des Märtyrers übertönte. Auf diese Weise setzte im Jahre 1529 die höchste literarische und kirchliche Autorität in dem gebildeten Paris „der Bevölkerung von 1793 das gemeine Beispiel, auf dem Schafott die ehrwürdigen Worte eines Sterbenden zu ersticken.“ (Wylie, 13. Buch, 9. Kap.)

Berquin wurde erdrosselt und sein Leichnam den Flammen übergeben. Die Kunde von seinem Tode verursachte über ganz Frankreich unter den Freunden der Reformation Betrübnis; aber sein Beispiel war nicht vergebens. „Wir wollen,“ sagten die Wahrheitszeugen, „mit gutem Mut dem Tod entgegengehen, indem wir unsern Blick nach dem jenseitigen Leben richten.“ (D’Aubigné, ebd., 2. Buch, 16. Kap.)

Während der Verfolgung in Meaux wurde den Lehrern des reformierten Glaubens das Recht zu predigen entzogen, und sie begaben sich in andere Felder. Lefevre machte sich bald auf den Weg nach Deutschland. Farel kehrte in seine Geburtsstadt im östlichen Frankreich zurück, um das Licht in der Heimat seiner Kindheit zu verbreiten. Bereits waren von dem, was sich in Meaux zutrug, Nachrichten eingelaufen, und es fanden sich Zuhörer, als er die Wahrheit mit unerschrockenem Eifer lehrte. Die Behörden jedoch fühlten sich veranlaßt, ihn zum Schweigen zu bringen, und er wurde aus der Stadt vertrieben. Wenn er nun auch nicht länger öffentlich arbeiten konnte, durchzog er doch die Ebenen und Dörfer, lehrte in Privatwohnungen und auf einsamen Matten und fand Schutz in den Wäldern und felsigen Höhlen, die in seiner Jugend seine Schlupfwinkel gewesen waren. Gott bereitete ihn für größere Prüfungen vor. „Kreuz und Verfolgung und die Umtriebe Satans,“ sagte er, „haben mir nicht gefehlt; sie sind stärker gewesen, als daß ich aus eigener Kraft sie hätte aushalten können; aber Gott ist mein Vater, er hat mir alle nötige Kraft verliehen und wird es ferner tun. (D’Aubigné, 12. Buch, 9. Abschn., S. 344.)

Wie in den apostolischen Tagen war die Verfolgung „nur mehr zur Förderung des Evangeliums geraten.“ (Phil. 1, 12.) Von Paris und Meaux waren sie vertrieben, und „die nun zerstreut waren, gingen um und predigten das Wort. „ (vgl. Apg. 8, 4.) Auf diese Weise fand das Licht seinen Weg in viele der entlegensten Provinzen Frankreichs.

Gott bereitete noch immer Arbeiter vor, seine Sache auszudehnen. In einer Schule zu Paris war ein gedankenvoller, ruhiger Jüngling, der bereits Beweise eines gewaltigen, durchdringenden Verstandes gab und sich nicht weniger durch die Reinheit seines Lebens als durch vernünftigen Eifer und religiöse Hingabe auszeichnete. Seine Talente und sein Fleiß machten ihn bald zum Stolz der Schule, und man sagte sich zuversichtlich, daß Johannes Kalvin einer der tüchtigsten und geehrtesten Verteidiger der Kirche werden würde. Aber ein Strahl göttlichen Lichtes drang sogar hinter die Mauern der Schulweisheit und des Aberglaubens, von welchem Kalvin umgeben war. Mit Schaudern hörte er von den neuen Lehren, ohne den geringsten Zweifel zu hegen, daß die Ketzer das Feuer, dem sie übergeben wurden, vollständig verdienten. Ganz unwissentlich jedoch wurde er der Ketzerei von Angesicht zu Angesicht gegenübergestellt und gezwungen, die Macht der päpstlichen Theologie zu prüfen, um die protestantischen Lehren zu bekämpfen.

Ein Vetter Kalvins, der sich den Reformatoren angeschlossen hatte, befand sich in Paris. Die beiden Verwandten trafen sich oft und besprachen gemeinschaftlich die Angelegenheiten, welche die Christenheit beunruhigten. “Es gibt nur zwei Religionen in der Welt,„ sagte Olivetan, der Protestant, “die eine ist die, welche die Menschen erfunden haben und nach welcher die Menschen sich durch die Zeremonien und gute Werke retten; die andere ist die eine Religion, die in der Bibel offenbart wird und lehrt, daß die Menschen nur selig werden können durch die freie Gnade Gottes.„

„ Weg mit euren neuen Lehren!“ rief Kalvin aus; „Bildet ihr euch ein, daß ich mein ganzes Leben lang im Irrtum gewesen bin?“ (Wylie, 13. Buch, 7. Kap.)

Aber in seinem Geist waren Gedanken erweckt worden, die er nicht willkürlich verbannen konnte. In der Einsamkeit seiner Kammer dachte er über die Worte seines Vetters nach. Ein Bewußtsein der Sünde bemächtigte sich seiner; er sah sich ohne Mittler in der Gegenwart eines heiligen und gerechten Richters. Die Vermittlung der Heiligen, gute Werke, die Zeremonien der Kirche waren alle machtlos, Genugtuung für die Sünde zu leisten. Er konnte nichts vor sich sehen als das Dunkel ewiger Verzweiflung. Vergebens bemühten sich die Gelehrten der Kirche, seiner Angst abzuhelfen. Umsonst nahm er seine Zuflucht zu Beichte und Bußübungen, aber sie konnten seine Seele nicht mit Gott versöhnen.

Während Kalvin diese vergeblichen Kämpfe durchmachte, kam er eines Tages wie von ungefähr an einen der öffentlichen Plätze und war dort Augenzeuge der Verbrennung eines Ketzers. Er wurde betroffen über den Ausdruck des Friedens, der auf dem Angesichte des Märtyrers ruhte. Inmitten der Qualen jenes furchtbaren Todes und unter der noch schrecklicheren Verdammung der Kirche bekundete er einen Glauben und Mut, welche der junge Student schmerzlich mit seiner eigenen Verzweiflung und Finsternis verglich, während er doch im strengsten Gehorsam gegen die Kirche lebte. Er wußte, daß die Ketzer ihren Glauben auf die Bibel stützen, und entschloß sich, sie zu studieren, um womöglich das Geheimnis ihrer Freude zu entdecken.

In der Bibel fand er Christum. „O Vater!“ rief er aus, „sein Opfer hat deinen Zorn besänftigt, sein Blut hat meine Flecken gereinigt, sein Kreuz hat meinen Fluch getragen, sein Tod hat für mich Genugtuung geleistet. Wir hatten viele unnütze Torheiten geschmiedet; aber du hast mir dein Wort gleich einer Fackel gegeben, und du hast mein Herz gerührt, damit ich jedes andere Verdienst, ausgenommen das des Erlösers, verabscheue.“ (Kalvin, Opusc., lat., S. 123.)

Kalvin war für das Priestertum erzogen worden. Schon im Alter von zwölf Jahren wurde er zum Kaplan einer kleinen Gemeinde ernannt, und sein Haupt war nach den Verordnungen der Kirche vom Bischof geschoren worden. Er erhielt keine Weihe, noch erfüllte er die Pflichten eines Priesters, aber er wurde Mitglied der Geistlichkeit, trug den Titel seines Amtes und erhielt in Anbetracht dessen ein Gehalt.

Als er nun fühlte, daß er nie ein Priester werden könne, widmete er sich eine Zeitlang dem Studium der Rechte, gab aber schließlich seinen Vorsatz auf und entschloß sich, sein Leben dem Evangelium zu weihen. Aber er zögerte, ein öffentlicher Lehrer zu werden. Er war von Natur schüchtern. Das Bewußtsein der großen Verantwortlichkeit einer solchen Stellung lastete schwer auf ihm und er wünschte, sich noch weiter dem Studium hinzugeben. Jedoch willigte er schließlich auf die ernsten Bitten seiner Freunde ein. „Wunderbar,“ sagte er, „ist es, daß einer von so niedriger Herkunft zu so hoher Würde erhoben werden sollte. “ (Wylie, 13. Buch, 9. Kap.)

Ruhig trat Kalvin sein Werk an, und seine Worte waren wie der Tau, der niederfällt, die Erde zu erquicken. Er hatte Paris verlassen und war nun in einer Provinzialstadt, unter dem Schutz der Prinzessin Margarete, welche, da sie das Evangelium liebte, ihren Schutz seinen Jüngern zuteil werden ließ. Kalvin war noch immer ein Jüngling, sein Wesen freundlich und anspruchslos. Er begann sein Werk mit den Leuten in ihren Wohnungen. Umgeben von den Gliedern des Haushaltes las er die Bibel und erklärte die Heilswahrheiten. Die Zuhörer brachten anderen die frohe Kunde, und bald ging Kalvin von der großen Stadt in die umliegenden kleineren Städte und Dörfer. Im Schloß und in der Hütte fand er Eingang; er ging vorwärts und legte den Grund zu Gemeinden, welche unerschrockene Zeugen für die Wahrheit liefern sollten.

Einige Monate später war er wiederum in Paris. Im Kreise der Gebildeten und Gelehrten herrschte daselbst eine ungewohnte Aufregung. Das Studium der alten Sprachen hatte die Menschen zu der Bibel geführt, und viele, deren Herzen von ihren Wahrheiten unberührt waren, besprachen sie eifrig und kämpften sogar mit den Verteidigern des Romanismus. Kalvin, ein tüchtiger Kämpfer auf dem Gebiete theologischer Streitigkeiten, hatte einen höheren Auftrag zu erfüllen als diese lärmenden Schulgelehrten. Die Gemüter der Menschen waren erweckt, und jetzt war die Zeit gekommen, ihnen die Wahrheit zu eröffnen. Während die Hörsäle der Universitäten mit dem Geschrei theologischer Streitfragen erfüllt waren, ging Kalvin von Haus zu Haus, eröffnete den Leuten die Bibel und sprach zu ihnen von Christo, dem Gekreuzigten.

Durch Gottes gnädige Vorsehung sollte Paris wiederum eine Einladung erhalten, das Evangelium anzunehmen. Es hatte den Ruf Lefevres und Farels verworfen; aber wiederum sollte von allen Ständen in jener großen Hauptstadt die Botschaft gehört werden. Der König hatte sich, von politischen Rücksichten beeinflußt, noch nicht völlig zu Rom geschlagen, um gegen die Reformation vorzugehen. Margarete hegte noch immer die Hoffnung, daß der Protestantismus in Frankreich siegen werde. Sie beschloß, daß der reformierte Glaube in Paris gepredigt werden sollte. Während der Abwesenheit des Königs ließ sie einen protestantischen Prediger in den Kirchen der Stadt predigen. Als dies von den päpstlichen Würdenträgern verboten wurde, öffnete die Fürstin den Palast. Ein Gemach wurde als Kapelle hergerichtet, und es wurde bekanntgegeben, daß jeden Tag zu einer bestimmten Stunde eine Predigt gehalten werde und das Volk aller Stände dazu eingeladen sei. Große Scharen strömten zum Gottesdienst. Nicht nur die Kapelle, sondern auch die Vorzimmer und Hallen waren gedrängt voll. Tausende kamen jeden Tag zusammen: Adlige, Staatsmänner, Rechtsgelehrte, Kaufleute und Handwerker. Anstatt die Versammlungen zu untersagen, befahl der König, daß zwei Kirchen von Paris geöffnet werden sollten. Nie zuvor war die Stadt so vom Worte Gottes bewegt worden. Es schien, als ob der Geist des Lebens vom Himmel auf das Volk gekommen sei. Mäßigkeit, Reinheit, Ordnung und Fleiß traten an die Stelle von Trunkenheit, Ausschweifung, Zwietracht und Müßiggang.

Die Priesterherrschaft war jedoch nicht müßig. Da der König sich weigerte, einzuschreiten und die Predigt zu verbieten, so wandte sie sich an die Bevölkerung. Kein Mittel wurde gespart, um die Furcht, die Vorurteile und den Fanatismus der unwissenden und abergläubischen Menge zu erregen. Und Paris, das sich seinen falschen Lehren blindlings hingab, erkannte wie Jerusalem vor alters nicht die Zeit seiner Heimsuchung noch was zu seinem Frieden diente. Zwei Jahre lang wurde das Wort Gottes in der Hauptstadt verkündigt; doch während viele das Evangelium annahmen, wurde es immerhin von der Mehrheit des Volkes verworfen. Franz hatte, um seinem eigenen Zweck zu dienen, eine gewisse religiöse Duldung an den Tag gelegt, und es gelang den päpstlichen Anhängern, wieder die Oberhand zu gewinnen. Abermals wurden die Kirchen geschlossen und die Scheiterhaufen aufgerichtet.

Kalvin war noch in Paris, bereitete sich durch Studium, Nachdenken und Gebet auf seine künftige Arbeit vor und fuhr fort, das Licht auszubreiten. Schließlich jedoch kam er in Verdacht. Die Behörden beschlossen, ihn den Flammen zu übergeben. Da er sich in seiner Abgeschiedenheit für sicher hielt, hatte er keinen Gedanken an Gefahr, als plötzlich Freunde auf sein Zimmer eilten mit der Nachricht, daß Beamte auf dem Wege seien, ihn zu verhaften. Im selben Augenblick vernahm man ein lautes Klopfen an dem äußeren Eingang. Es galt, keine Zeit zu verlieren. Einige Freunde hielten die Beamten an der Tür auf, während andere dem Reformator beistanden, sich durchs Fenster hinunterzulassen und schnell aus der Stadt zu entkommen. Er fand Unterkunft in der Hütte eines Arbeiters, der ein Freund der Reformation war; er verkleidete sich, indem er einen Anzug seines Gastgebers anzog und setzte mit einer Hacke auf seiner Schulter die Reise fort. Seine Schritte nach Süden lenkend, fand er wiederum Zuflucht auf den Besitzungen Margaretes. (D’Aubigné, „Gesch. der Reform. zu den Zeiten Kalvins, “ 2. Buch, 30. Kap.)

Hier blieb er einige Monate, sicher unter dem Schutz mächtiger Freunde und befaßte sich wie zuvor mit seinen Studien. Aber sein Herz war auf die Verbreitung des Evangeliums in Frankreich bedacht, und er konnte nicht lange untätig bleiben. Sobald der Sturm sich etwas gelegt hatte, suchte er ein neues Arbeitsfeld in Poitiers, wo eine Universität war, und wo die neuen Ansichten bereits günstige Aufnahme gefunden hatten. Leute aller Stände lauschten fröhlich auf das Evangelium. Es wurde nicht öffentlich gepredigt, sondern in dem Hause des Oberbürgermeisters, in seiner eigenen Wohnung und zuweilen in öffentlichen Anlagen eröffnete Kalvin die Worte des Lebens denen, welche sie hören wollten. Als bald die Zahl seiner Zuhörer wuchs, hielt man es für sicherer, sich außerhalb der Stadt zu versammeln. Eine Höhle an der Seite einer tiefen, engen Bergschlucht, wo Bäume und überhängende Felsen die Abgeschiedenheit noch größer machten, wurde als Versammlungsort gewählt. Kleine Häuflein, welche die Stadt auf verschiedenen Wegen verließen, fanden ihren Weg unbeobachtet dorthin. An diesem abgelegenen Ort wurde die Bibel gelesen und ausgelegt. Hier wurde zum ersten Mal von den Protestanten Frankreichs das heilige Abendmahl gefeiert. Von dieser kleinen Gemeinde wurden mehrere treue Evangelisten ausgesandt.

Noch einmal kehrte Kalvin nach Paris zurück. Auch jetzt noch konnte er die Hoffnung nicht aufgeben, daß Frankreich als Ganzes die Reformation annehmen werde. Aber er fand verschlossene Türen. Das Evangelium lehren, hieß den geraden Weg nach dem Scheiterhaufen einschlagen, und er entschloß sich zuletzt, nach Deutschland zu gehen. Kaum hatte er Frankreich verlassen, als ein Sturm über die Protestanten hereinbrach, der, falls Kalvin sich dort länger aufgehalten, ihn sicherlich mit in das allgemeine Verderben gerissen hätte.

Die französischen Reformatoren, die ernstlich wünschten, daß ihr Land mit Deutschland und der Schweiz Schritt halte, beschlossen, gegen die abergläubischen Gebräuche Roms einen kühnen Streich zu führen, der die ganze Nation aufwecken sollte. Demgemäß wurden in einer Nacht über ganz Frankreich Plakate angeschlagen. Statt jedoch die Reformation zu fördern, brachte dieser eifrige aber schlecht berechnete Schritt nicht nur seinen Urhebern, sondern auch den Freunden des reformierten Glaubens in ganz Frankreich Verderben. Er lieferte den Katholiken, was sie sich lange gewünscht hatten, nämlich einen Vorwand, um die gänzliche Ausrottung der Ketzer als Aufrührer, die der Sicherheit des Thrones und dem Frieden der Nation gefährlich waren, zu verlangen.

Von unbekannter Hand - ob der eines unbesonnenen Freundes oder eines verschlagenen Feindes, stellte sich nie heraus - wurde eines der Plakate an die Tür des königlichen Privatgemachs befestigt. Der Monarch war entsetzt. In dieser Schrift wurden abergläubische Gebräuche, die jahrhundertelang bestanden hatten, schonungslos angegriffen. Die beispiellose Verwegenheit, diese ungeschminkten und erschreckenden Aussprüche vor den König zu bringen, erregte seinen Zorn. Vor Entsetzen stand er eine kurze Zeit bebend und sprachlos da. Dann brach seine Wut in den schrecklichen Worten aus: „Man ergreife ohne Unterschied alle, die des Luthertums verdächtig sind... Ich will alle ausrotten.“ (Ebd., 4. Buch, 10. Kap.) Der Würfel war gefallen. Der König war nun entschlossen, sich ganz auf die Seite Roms zu stellen.

Sofort wurden Maßregeln ergriffen, einen jeglichen Lutheraner in Paris zu verhaften. Ein armer Handwerker, Anhänger des reformierten Glaubens, der gewohnt war, die Gläubigen zu ihren geheimen Versammlungen zu rufen, wurde festgenommen, und man gebot ihm unter Androhung des sofortigen Todes auf dem Scheiterhaufen, den päpstlichen Boten in die Wohnung eines jeden Protestanten in der Stadt zu führen. Er schreckte mit Entsetzen vor dem gemeinen Vorschlag zurück; schließlich jedoch siegte die Furcht vor den Flammen, und er willigte ein, der Verräter seiner Brüder zu werden. Mit der vor ihm hergetragenen Hostie und von einem Gefolge von Priestern, Weihrauchträgern, Mönchen und Soldaten umgeben, zog Morin, der königliche Kriminalrichter, mit dem Verräter langsam und schweigend durch die Straßen der Stadt. Der Zug sollte scheinbar zu Ehren „des heiligen Sakramentes“ sein, eine versöhnende Handlung für die Beleidigungen, welche die Protestierenden der Messe zugefügt hatte. Doch lag unter diesem Gepränge eine tödliche Absicht verborgen. Beim Hause eines Lutheraners angelangt, gab der Verräter ein Zeichen; doch kein Wort wurde gesprochen. Der Zug machte halt, das Haus wurde betreten, die Familie heraus geschleppt und in Ketten gelegt, und die fürchterliche Schar ging weiter, um neue Opfer aufzusuchen. „Er schonte weder große noch kleine Häuser noch die Gebäude der Universität. ... Vor Morin zitterte die ganze Stadt. ... Es war eine Zeit der Schreckensherrschaft. “ (Ebd.)

Die Opfer wurden unter grausamen Schmerzen getötet, denn ein besonderer Befehl war ergangen, das Feuer zu schwächen, um ihre Qualen zu verlängern. Sie starben jedoch als Sieger. Ihre Standhaftigkeit blieb unerschüttert, ihr Friede ungetrübt. Ihre Verfolger, die ihrer unbeugsamen Festigkeit gegenüber machtlos waren, fühlten sich geschlagen. „Scheiterhaufen wurden in allen Vierteln von Paris aufgerichtet, und das Verbrennen erfolgte an verschiedenen aufeinanderfolgenden Tagen in der Absicht, die Furcht vor der Ketzerei durch Ausdehnung der Hinrichtungen zu verbreiten. Der Vorteil blieb jedoch schließlich auf der Seite des Evangeliums. Ganz Paris konnte sehen, was für Männer die neuen Lehren zu erzeugen vermochten. Keine Kanzel konnte so beredt sein wie des Märtyrers Scheiterhaufen. Die stille Freude, welche auf den Angesichtern jener Männer ruhte, wenn sie dem Richtplatz zuschritten, ihr Heldenmut inmitten der peinigenden Flammen, ihr sanftmütiges Vergeben der Beleidigungen verwandelten nicht selten den Zorn in Mitleid und den Haß in Liebe und zeugten mit unwiderstehlicher Beredsamkeit zugunsten des Evangeliums.“ (Wylie, 13. Buch, 20. Kap.)

Die Priester, welche es darauf abgesehen hatten, die Wut des Volkes auf der Höhe zu erhalten, verbreiteten die schrecklichsten Anschuldigungen gegen die Protestanten. Man beschuldigte sie, sich verbunden zu haben, den König zu ermorden, die Katholiken hinzuschlachten und die Regierung zu stürzen. Aber nicht der geringste Beweis einer solchen Vereinigung konnte zur Unterstützung vorgebracht werden. Doch sollten diese Vorhersagungen kommenden Unheils erfüllt werden, wenn auch unter ganz verschiedenen Umständen und aus entgegengesetzten Ursachen. Die von den Katholiken an den unschuldigen Protestanten verübten Grausamkeiten häuften sich zu einer Last der Wiedervergeltung auf und verursachten in späteren Jahrhunderten gerade das Schicksal, das nach ihrer Weissagung dem König, seiner Regierung und seinen Untertanen drohte; aber es wurde durch Ungläubige und päpstliche Anhänger selbst herbeigeführt. Es war nicht die Einführung, sondern die Unterdrückung des Protestantismus, welche 300 Jahre später diese schrecklichen Heimsuchungen über Frankreich bringen sollte.

Argwohn, Mißtrauen und Entsetzen durchsäuerten nun alle Klassen der Gesellschaft. Inmitten der allgemeinen Aufregung zeigte es sich, wie tief die lutherische Lehre in den Herzen von Männern Wurzel gefaßt hatte, welche sich durch ihre Bildung, ihren Einfluß und ihren vorzüglichen Charakter auszeichneten. Vertrauensposten und Ehrenstellen fand man plötzlich unbesetzt. Handwerker, Drucker, Gelehrte, Professoren der Universitäten, Schriftsteller, ja sogar Höflinge verschwanden. Hunderte flohen aus Paris und verließen freiwillig das Land ihrer Geburt, wodurch sie in vielen Fällen die Andeutung gaben, daß sie dem reformierten Glauben geneigt waren. Die Katholiken blickten erstaunt um sich bei dem Gedanken an die Ketzer, die sie ahnungslos in ihrer Mitte geduldet hatten. Ihre Wut ließen sie an der Menge niedrigerer Opfer aus, die in ihrer Gewalt waren. Die Gefängnisse waren gedrängt voll, und die Luft schien verdunkelt durch den Rauch der brennenden Scheiterhaufen, die für die Bekenner des Evangeliums angezündet waren.

Franz 1. hatte sich gerühmt, ein Anführer zugunsten der Wiederbelebung der Gelehrsamkeit zu sein, welche den Anfang des 16. Jahrhunderts kennzeichnete. Es hatte ihm Freude gemacht, gelehrte Männer aus allen Ländern an seinen Hof zu versammeln. Seiner Liebe zur Gelehrsamkeit und seiner Verachtung der Unwissenheit und des Aberglaubens der Mönche verdankte man wenigstens zum Teil den Grad religiöser Duldung, welche der Reformation gewährt worden war. Aber von großem Eifer, die Ketzerei auszurotten, begeistert, erließ dieser Beschützer der Wissenschaft ein Edikt, welches das Drucken in ganz Frankreich verbot. Franz I. liefert, eins der vielen Beispiele in der Geschichte, welche beweisen, daß geistige Bildung nicht vor religiöser Unduldsamkeit und Verfolgung schützt.

Durch eine feierliche und öffentliche Handlung sollte Frankreich sich völlig zur Vernichtung des Protestantismus hergeben. Die Priester verlangten, daß die dem Himmel durch Verdammung der Messe widerfahrene Beleidigung durch Blut gesühnt werden müsse, und daß der König um seines Volkes willen dieses schreckliche Werk öffentlich genehmige.

Der 21. Januar 1535 wurde für die fürchterliche Handlung gewählt. Die abergläubischen Befürchtungen und der blinde Haß des gesamten Volkes waren erweckt worden. Die Straßen von Paris waren mit Menschenmengen angefüllt, die sich aus der ganzen umliegenden Gegend eingestellt hatten. Der Tag sollte durch einen großartigen und prunkvollen Festzug eingeleitet werden. Die Häuser, wo der Zug vorbeigehen sollte, waren mit Trauerflor behangen, und Altäre erhoben sich hier und da. Vor jeder Tür befand sich zu Ehren des „heiligen Sakramentes“ eine brennende Fackel. Vor Tagesanbruch bildete sich der Festzug im königlichen Palast. „Zuerst kamen die Banner und Kreuze der verschiedenen Kirchspiele, dann erschienen paarweise die Bürger mit Fackeln in den Händen.“ Ihnen folgten die vier Mönchsorden, jeder in seiner ihm eigenen Tracht. Dann kam eine große Sammlung von berühmten Reliquien. Nach diesen ritten Kirchenfürsten in ihren Purpur- und Scharlachgewändern und ihrem Juwelenschmuck - eine prunkende, glänzende Ausrüstung.

„Die Hostie wurde von dem Bischof von Paris unter einem kostbaren Traghimmel,... der von vier Prinzen von Geblüt gehalten wurde, einher getragen. ... Hinter der Hostie ging der König. ... Franz 1. trug weder Krone noch königliche Gewänder; mit entblößtem Haupt und gesenktem Blick, in der Hand eine brennende Kerze haltend,“ erschien der König von Frankreich „als ein Büßender.“ (Wylie, 13. Buch, 21. Kap.) Vor jedem Altar beugte er sich in Demütigung, nicht wegen der Laster, welche seine Seele verunreinigten, oder um des unschuldigen Blutes willen, das seine Hände befleckte, sondern um der Todsünde seiner Untertanen willen, die es gewagt hatten, die Messe zu verdammen. Ihm folgten die Königin und die Würdenträger des Staates, ebenfalls paarweise, jeder mit einer brennenden Kerze.

Als ein Teil des Dienstes jenes Tages hielt der Monarch selbst im großen Saal des bischöflichen Palastes eine Ansprache an die hohen Beamten des Reiches. Mit sorgenvollem Angesicht erschien er vor ihnen und beklagte in Worten voll ergreifender Beredsamkeit „den Frevel, die Gotteslästerung, den Tag des Schmerzes und der Schande,“ der über das Volk hereingebrochen sei. Dann forderte er jeden treuen Untertan auf, an der Ausrottung der verderblichen Ketzerei mitzuhelfen, welche Frankreich mit dem Untergang drohte. „So wahr ich Euer König bin, Ihr Herren, wüßte ich eines meiner eigenen Glieder von dieser abscheulichen Fäulnis befleckt und angesteckt, ich ließe es mir von Euch abhauen. ... Noch mehr: Sähe ich eines meiner Kinder damit behaftet, ich würde sein nicht schonen. ... Ich würde es selbst ausliefern und Gott zum. Opfer bringen!“ Tränen erstickten seine Rede, und die ganze Versammlung weinte und rief einstimmig: „Wir wollen leben und sterben für den katholischen Glauben!“ (D’Aubigné, „Gesch. der Reform. zu den Zeiten Kalvins“, 4. Buch, 12. Kap.)

Schrecklich war die Finsternis des Volkes geworden, welches das Licht der Wahrheit verworfen hatte. „Die heilsame Gnade“ war erschienen; doch Frankreich hatte sich, nachdem es ihre Macht und Heiligkeit geschaut, nachdem Tausende von ihrem göttlichen Reiz gefesselt, Städte und Weiler von ihrem Glanz erleuchtet worden waren, abgewandt und die Finsternis dem Lichte vorgezogen, Es hatte die himmlische Gabe von sich gewiesen, als sie ihm angeboten wurde. Es hatte Böses gut und Gutes böse geheißen, bis es auch ein Opfer seiner eigenen störrischen Selbsttäuschung geworden war. Und wenn es auch wirklich jetzt glauben mochte, Gott einen Dienst zu erweisen, indem es sein Volk verfolgte, so konnte seine Aufrichtigkeit es doch nicht von Schuld freisprechen. Es hatte das Licht, das es vor Täuschung und vor Befleckung der Seele mit Blutschuld hätte bewahren können, eigenwillig verworfen.

In der großen Kathedrale, wo beinahe drei Jahrhunderte später die „Göttin der Vernunft“ auf den Thron gehoben wurde von einem Volk, weiches den lebendigen Gott vergessen hatte, legte man einen feierlichen Eid ab, die Ketzerei auszurotten. Von neuem bildete sich der Festzug, und die Vertreter Frankreichs machten sich auf den Weg, das Werk anzufangen, das sie geschworen hatten, auszuführen. „In geringen Zwischenräumen waren Gerüste errichtet worden, auf welchen gewisse Protestanten lebendig verbrannt werden sollten, und es war bestimmt worden, die Holzscheite beim Herannahen des Königs anzuzünden, damit der Festzug anhalten und Augenzeuge der Hinrichtung sein möchte.“ (Wylie, 13. Buch, 21. Kap.) Die Einzelheiten der von diesen Zeugen für Christum ausgestandenen Qualen sind zu schauerlich, um angeführt zu werden; aber die Opfer zeigten keine Unentschlossenheit. Als man auf sie eindrang, zu widerrufen, gab einer der Märtyrer zur Antwort: „Ich glaube nur, was die Propheten und Apostel ehemals gepredigt und was die ganze Gemeinschaft der Heiligen geglaubt hat. Mein Glaube setzt seine Zuversicht auf Gott und wird aller Gewalt der Hölle widerstehen. “ (D’Aubigné, „Gesch. der Reform. zu den Zeiten Kalvins“, 4. Buch, 12. Kap.)

Immer wieder aufs neue hielt der Festzug an den Marterstätten an. Nachdem er zu ihrem Ausgangspunkt am königlichen Palast zurückgekehrt war, verlief sich die Menge, und der König und die Prälaten zogen sich zurück, wohl zufrieden mit den Vorgängen des Tages und wünschten sich Glück, daß das eben begonnene Werk bis zur gänzlichen Ausrottung der Ketzerei fortgesetzt werden würde.

Das Evangelium des Friedens, welches Frankreich verworfen hatte, sollte nur zu sicher ausgewurzelt werden, und schrecklich würden die Folgen sein. Am 21. Januar 1793, 258 Jahre später, von dem nämlichen Tage an gerechnet, an welchem Frankreich sich völlig der Verfolgung der Reformation hingab, zog ein anderer Zug zu einem ganz anderen Zweck durch die Straßen von Paris. „Abermals war der König die Hauptperson, abermals erhob sich Tumult und Lärm; wiederum wurde der Ruf nach mehr Opfern laut; aufs neue gab es schwarze Schafotte, und nochmals wurden die Auftritte des Tages mit schrecklichen Hinrichtungen beschlossen. Ludwig XVI.  der sich den Händen seiner Kerkermeister und Henker zu entwinden strebte, wurde auf den Henkerblock geschleppt und hier mit Gewalt gehalten, bis das Beil gefallen war und sein abgeschlagenes Haupt auf das Schafott rollte.“ (Wylie, 13. Buch, 21. Kap.) Auch war der König nicht das alleinige Opfer; nahe bei der nämlichen Stätte kamen während der blutigen Tage der Schreckensherrschaft 2800 Menschen durch die Guillotine ums Leben.

Die Reformation hatte der Welt eine offene Bibel angeboten, indem sie die Vorschriften des Gesetzes Gottes aufschloß und seine Ansprüche auf das Gewissen des Volkes geltend machte. Die unendliche Liebe hatte den Menschen die Grundsätze und Vorschriften des Himmels entfaltet. Gott hatte gesagt: „So behaltet’s nun und tut es. Denn das wird eure Weisheit und Verstand sein bei allen Völkern, wenn sie hören werden alle diese Gebote, daß sie müssen sagen: Ei, welch weise und verständige Leute sind das und ein herrliches Volk!“ (5. Mose 4, 6.) Als Frankreich die Gabe des Himmels verwarf, säte es den Samen des Umsturzes und des Verderbens; und die unausbleibliche Entwicklung von Ursache und Wirkung gipfelte in der Revolution und der Schreckensherrschaft.

Schon lange vor der durch die Plakate angeregte Verfolgung hatte sich der kühne und eifrige Farel gezwungen gesehen, aus seinem Vaterland zu fliehen. Er begab sich in die Schweiz, und durch sein Wirken, wodurch Zwinglis Werk unterstützt wurde, trug er dazu bei, den Ausschlag zugunsten der Reformation zu geben. Seine späteren Jahre sollten hier verbracht werden, jedoch fuhr er fort, einen entschiedenen Einfluß auf die Reformation in Frankreich auszuüben. Während der ersten Jahre seiner Verbannung waren seine Bemühungen ganz besonders auf die Ausbreitung der Reformation in seinem Geburtsland gerichtet. Er verwandte viel Zeit auf die Predigt des Evangeliums unter seinen Landsleuten nahe der Grenze, wo er mit unermüdlicher Wachsamkeit den Kampf verfolgte und mit seinen Worten der Ermutigung und des Rates diente. Mit der Hilfe anderer Verbannten wurden die Schriften der deutschen Reformatoren in die französische Sprache übersetzt und zusammen mit der französischen Bibel in großer Menge gedruckt. Kolporteure verkauften diese Werke weit umher in Frankreich, und da sie ihnen zu niedrigen Preisen geliefert wurden, ermöglichte es ihnen der Gewinn, mit der Arbeit fortzufahren.

Farel trat sein Werk in der Schweiz unter dem bescheidenen Gewande eines Schullehrers an. In einem abgelegenen Kirchspiel widmete er sich der Erziehung der Kinder. Außer den gewöhnlichen Lehrfächern führte er vorsichtig die Wahrheiten der Bibel ein, indem er durch die der die Eltern zu erreichen hoffte. Etliche glaubten; aber die Priester traten dazwischen, um dem Werke Christi Einhalt zu tun, und die abergläubischen Landleute wurden aufgehetzt, sich ihm zu widersetzen. Das könne nicht das Evangelium Christi sein, betonten die Priester, wenn dessen Predigt keinen Frieden, sondern Krieg bringe. Gleich den ersten Jüngern floh Farel, wenn er in einer Stadt verfolgt wurde, in eine andere, kam zu Fuß reisend von Dorf zu Dorf, von Stadt zu Stadt, erduldete Hunger, Kälte und Erniedrigung und war überall in Lebensgefahr. Er predigte auf Marktplätzen, in Kirchen, mitunter auf den Kanzeln der Münster. Manchmal fand er die Kirche ohne Zuhörer; zuweilen wurde seine Predigt von Geschrei und Spott unterbrochen, oder er wurde gewaltsam von der Kanzel herunter gerissen. Mehr als einmal wurde er von dem Pöbel angegriffen und beinahe zu Tode geschlagen. Dennoch drängte er vorwärts. Wenn auch oft zurückgeschlagen, wandte er sich doch mit unermüdlicher Ausdauer immer wieder dem Kampfe zu, und nach und nach sah er Flecken und Städte, die zuvor Festen des Papsttums gewesen waren, dem Evangelium ihre Türen öffnen. Das kleine Kirchspiel, in dem er zuerst gearbeitet hatte, nahm bald den reformierten Glauben an. Auch die Städte Murten und Neuenburg gaben die römischen Gebräuche auf und schafften die Bilder aus ihren Kirchen fort.

Schon lange hatte Farel gewünscht, die protestantische Fahne in Genf aufzupflanzen. Könnte diese Stadt gewonnen werden, so würde sie der Mittelpunkt für die Reformation in Frankreich, der Schweiz und Italien sein. Mit diesem Zweck im Auge hatte er seine Arbeit fortgesetzt, bis viele der umliegenden Städte und Ortschaften gewonnen worden waren. Dann betrat er mit einem einzigen Gefährten Genf. Aber nur zwei Predigten durfte er dort halten. Die Priester, die sich umsonst bemüht hatten, von den weltlichen Behörden seine Verurteilung zu erlangen, beschieden ihn jetzt vor einen Rat der Kirche, zu welchem sie sich mit unter den Kleidern verborgenen Waffen begaben, entschlossen, ihm das Leben zu nehmen. Vor der Halle sammelte sich eine wütende Menge mit Knütteln und Schwertern, um ihn zu töten, falls es ihm gelingen sollte, dem Rat zu entrinnen. Die anwesende Obrigkeit jedoch und eine bewaffnete Macht rettete ihn. Früh am nächsten Morgen wurde er mit seinem Gefährten über den See nach einem sicheren Ort gebracht. So endete seine erste Anstrengung in Genf, das Evangelium zu verkündigen.

Für den nächsten Versuch wurde ein bescheideneres Werkzeug gewählt - ein junger Mann, von einem so bescheidenen Aussehen, daß ihn sogar die vorgeblichen Freunde der Reformation kalt behandelten. Aber was konnte ein solcher da tun, wo Farel verworfen worden war? Wie konnte einer, der wenig Mut und Erfahrung besaß, dem Sturm widerstehen, vor welchem die Stärksten und Tapfersten zur Flucht gezwungen worden waren? „Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.“ (Sach. 4, 6.) „Was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, daß er die Weisen zu Schanden mache.“ „Denn die göttliche Torheit ist weiser, denn die Menschen sind; und die göttliche Schwachheit ist stärker, denn die Menschen sind.“ (l. Kor. 1, 27.25.)

Froment begann sein Werk als Schulmeister. Die Wahrheiten, welche er den Kindern in der Schule lehrte, wiederholten sie zu Hause; bald kamen die Eltern, um zuzuhören, wie die Bibel erklärt wurde, und das Schulzimmer füllte sich mit aufmerksamen Zuhörern. Neue Testamente und Traktate wurden reichlich verteilt und erreichten viele, die es nicht wagten, offen zu kommen, um die neuen Lehren zu hören. Bald wurde auch dieser Arbeiter zur Flucht gezwungen; aber die Wahrheiten, die er lehrte, hatten in den Herzen des Volkes Wurzel gefaßt - die Reformation war gepflanzt worden und fuhr fort, stärker zu werden und sich auszudehnen. Die Prediger kehrten zurück, und durch ihre Arbeit wurde schließlich der protestantische Gottesdienst in Genf eingeführt.

Die Stadt hatte sich bereits für die Reformation erklärt, als Kalvin nach verschiedenen Wanderungen und Wechselfällen ihre Tore betrat. Von einem letzten Besuch seines Geburtsortes zurückkehrend, war er auf dem Wege nach Basel; doch da er die direkte Straße von den Truppen Karls V. besetzt fand, sah er sich gezwungen, den Umweg über Genf zu nehmen.

In dieser Reise erkannte Farel die Hand Gottes. Obgleich Genf den reformierten Glauben angenommen hatte, blieb doch noch immer ein großes Werk dort zu verrichten. Nicht als Gemeinschaften, sondern als einzelne Personen müssen Seelen zu Gott bekehrt werden; das Werk der Wiedergeburt muß im Herzen und Gewissen und durch den Heiligen Geist, nicht durch Konzilienbeschlüsse verrichtet werden. Während die Genfer die Botmäßigkeit Roms abgeschüttelt hatten, waren sie noch nicht bereit, die Laster zu fliehen, welche unter seiner Herrschaft gepflegt wurden. Hier die reinen Grundsätze des Evangeliums einzuführen und dies Volk zuzubereiten, würdig die Stellung auszufüllen, zu welcher die Vorsehung es berufen zu haben schien, war keine leichte Aufgabe.

Farel war überzeugt, daß er in Kalvin jemand gefunden hatte, der sich ihm in diesem Werke anschließen konnte. Im Namen Gottes beschwor er den jungen Prediger feierlich, hier zu bleiben und zu arbeiten. Kalvin erschrak sehr. Furchtsam und friedliebend, bebte er zurück von der Berührung mit dem kühnen, unabhängigen, ja sogar heftigen Geist der Genfer. Seine schwache Gesundheit und die Gewohnheit, dem Studium obzuliegen, veranlaßten ihn, die Zurückgezogenheit zu suchen. In der Meinung, der Sache der Reformation am besten durch seine Feder dienen zu können, wünschte er sich ein ruhiges Plätzchen zum Studium, um daselbst durch die Presse die Gemeinden zu unterweisen und aufzubauen. Aber Farels feierliche Warnung kam zu ihm als ein Ruf vom Himmel, und er wagte es nicht, sich zu widersetzen. Es schien ihm, wie er sagte, „als ob die Hand Gottes vom Himmel herab ausgereckt ihn ergriffen und unwiderruflich an den Ort gesetzt habe, den er so gern verlassen wollte.“ (D’Aubigné, Gesch. der Reform. zu den Zeiten Kalvins, 9. Buch, 17. Kap.)

Zu dieser Zeit drohten der protestantischen Sache große Gefahren. Die Bannflüche des Papstes donnerten gegen die Stadt Genf, und mächtige Nationen drohten ihr mit Verderben. Wie sollte diese kleine Stadt der gewaltigen Priestermacht widerstehen, die sonst Könige und Kaiser zur Unterwürfigkeit gezwungen hatte? Wie konnte sie den Heeren der großen Eroberer der Welt standhalten?

In der ganzen Christenheit drohten dem Protestantismus furchtbare Feinde. Als die ersten Siege der Reformation vorüber waren, sammelte Rom neue Kräfte in der Hoffnung, ihre Vernichtung zu vollenden. Um diese Zeit wurde der Jesuitenorden gestiftet. Von irdischen Banden und menschlichen Beziehungen abgeschnitten, den Ansprüchen der natürlichen Neigung abgestorben, Vernunft und Gewissen völlig zum Schweigen gebracht, kannten die Jesuiten keine Herrschaft, keine Verbindung als nur die ihres Ordens und keine andere Pflicht als die, seine Macht auszudehnen. (Siehe Anhang, Anm. 17.) Das Evangelium Christi hatte seine Anhänger in den Stand gesetzt, ungeachtet der Kälte, des Hungers, der Mühe und Armut Gefahren zu begegnen und Leiden zu erdulden und das Banner der Wahrheit angesichts des Kerkers, der Folter und des Scheiterhaufens hochzuhalten. Um diese zu bekämpfen, begeisterte das Jesuitentum seine Nachfolger mit einem Glaubenseifer, welcher sie befähigte, gleiche Gefahren zu erdulden und der Macht der Wahrheit alle Waffen der Täuschung gegenüberzustellen. An ständige Armut und Niedrigkeit durch ein Gelübde gebunden, richtet sich ihr ständiges Streben darauf, Reichtum und Macht zu erlangen, um beides zum Sturz des Protestantismus und zur Wiederherstellung der päpstlichen Oberherrschaft zu verwenden.

Als Glieder ihres Ordens erschienen sie in einem Gewand der Heiligkeit, besuchten Gefängnisse und Krankenhäuser, halfen den Kranken und Armen, gaben vor, der Welt entsagt zu haben und trugen den heiligen Namen Jesu, der umherging, Gutes zu tun. Aber unter diesem tadellosen Äußeren wurden oft die gewissenlosesten und tödlichsten Absichten verborgen. Es war ein Hauptgrundsatz des Ordens, daß der Zweck die Mittel heilige, und durch diese Regel wurden Lüge, Diebstahl, Meineid, Meuchelmord nicht nur verzeihlich, sondern sogar lobenswert, wenn sie zum besten der Kirche dienten. Unter verschiedenen Verstellungen bahnten sich die Jesuiten ihren Weg zu Ämtern im Staate, arbeiteten sich zu Ratgebern der Könige empor und leiteten die Politik der Nationen. Sie dienten als Knechte, um als Spione ihre Herren zu überwachen. Sie errichteten Hochschulen für die Söhne der Fürsten und Adligen und Schulen für das gewöhnliche Volk und brachten die Kinder protestantischer Eltern dahin, daß sie päpstliche Gebräuche beobachteten. Das ganze äußerliche Gepränge und der Pomp des päpstlichen Gottesdienstes sollte darauf hinwirken, den Verstand zu verwirren und die Einbildung zu blenden und zu fesseln. Auf diese Weise wurde die Freiheit, für welche die Väter gearbeitet und geblutet hatten, von den Söhnen verraten. Rasch breiteten sich die Jesuiten über ganz Europa aus, und wohin sie kamen, folgte eine Wiederbelebung des Papsttums.

Um ihnen größere Macht zu geben, wurde eine Bulle erlassen, welche die Inquisition wieder einführte. (Siehe Anhang, Anm. 18.) Trotz dem allgemeinen Abscheu, mit welchem man sie sogar in katholischen Ländern betrachtete, wurde dieses schreckliche Gericht von päpstlichen Herrschern aufs neue eingesetzt, und Abscheulichkeiten, zu schrecklich, um ans Tageslicht gebracht zu werden, wurden in den verborgenen Kerkerzellen wiederholt. In vielen Ländern wurden Tausende und aber Tausende, die Blüte der Nation, die Reinsten und Edelsten, die Verständigsten und höchst Gebildeten, fromme und ergebene Prediger, arbeitsame und vaterlandsliebende Bürger, große Gelehrte, begabte Künstler, tüchtige Gewerbetreibende erschlagen oder gezwungen, in andere Länder zu fliehen.

Dies waren die Mittel, welche Rom erdacht hatte, um das Licht der Reformation auszulöschen, den Menschen die Bibel zu entziehen und die Unwissenheit und den Aberglauben des Mittelalters wiederherzustellen. Aber unter dem Gottessegen und durch die Bemühungen jener edlen Männer, die der Herr als Luthers Nachfolger erweckt hatte, wurde der Protestantismus nicht gestürzt. Nicht der Gunst oder dem Arm der Fürsten sollte er seine Stärke verdanken. Die kleinsten Länder, die bescheidensten und die verhältnismäßig schwächsten Völker wurden seine Bollwerke. Es war das kleine Genf inmitten mächtiger Feinde, die auf seinen Untergang bedacht waren; es war Holland mit seinen Sanddünen an der Nordsee, welches gegen die Tyrannei Spaniens, damals das größte und reichste der Königreiche, kämpfte; es war das rauhe, unfruchtbare Schweden, - alle diese errangen Siege für die Reformation.

Beinahe dreißig Jahre lang arbeitete Kalvin in Genf, erstens um dort eine Gemeinde zu gründen, die sich an die reine Sittlichkeit der Bibel halte, und dann um die Reformation über ganz Europa zu verbreiten. Seine Art und Weise als öffentlicher Lehrer war nicht ohne Tadel, noch waren seine Lehren frei von Irrtum. Aber er war das Werkzeug zur Verkündigung der großen Wahrheiten, die in seiner Zeit von besonderer Wichtigkeit waren, zur Aufrechterhaltung der Grundsätze des Protestantismus gegen die rasch zurückkehrende Flut des Romanismus und zur Förderung von Reinheit und Einfachheit des Lebens in den reformierten Gemeinden anstelle des Stolzes und der Verderbnis, welche durch die päpstlichen Lehren genährt wurden.

Von Genf gingen Schriften und Lehrer aus, um die reformierten Lehren auszubreiten. Dorthin schauten die Verfolgten aller Länder, um Belehrung, Rat und Ermutigung zu erlangen. Die Stadt Kalvins wurde zu einer Zufluchtsstätte für die verfolgten Reformatoren des ganzen westlichen Europas. Auf der Flucht vor den schrecklichen Stürmen, die Jahrhunderte lang anhielten, kamen die Flüchtlinge zu den Toren Genfs. Ausgehungert, verwundet, der Heimat und der Verwandten beraubt, wurden sie warm empfangen und liebreich versorgt, und indem sie hier eine Heimat fanden, gereichten sie der Stadt, die sie aufgenommen, durch ihre Frömmigkeit, Gelehrsamkeit und Tüchtigkeit zum Segen. Viele, welche hier erst eine Zuflucht gesucht hatten, kehrten wieder nach ihrer eigenen Heimat zurück, um der Tyrannei Roms Widerstand zu bieten. John Knox, der wackere schottische Reformator, nicht wenige der englischen Puritaner, die Protestanten aus Holland und Spanien und die Hugenotten von Frankreich, trugen von Genf aus die Fackel der Wahrheit, um die Finsternis ihres heimatlichen Landes zu erleuchten.


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