9Die große deutsche Reformation begann im
16. Jahrhundert unter Martin Luther. Doch nicht weniger bedeutend war die
Reformation in der Schweiz unter der Führung von Ulrich Zwingli.
Er wurde
nur wenige Wochen nach Luther geboren. Feststehen für die Wahrheit, das war
seine Aufgabe. Eine Geschichte ohne Kompromisse, eine Standhaftigkeit mit
Folgen.
In der Wahl der Werkzeuge zur Verbesserung der Kirche zeigt sich derselbe
göttliche Plan wie bei der Pflanzung der Gemeinde. Der himmlische Lehrer ging
an den Großen der Erde, an den Angesehenen und Reichen, welche gewohnt waren,
als Leiter des Volkes Lob und Huldigung zu empfangen, vorüber. Diese waren so
stolz und vertrauten so sehr auf ihre viel gerühmte Überlegenheit, daß sie
nicht umgebildet werden konnten, um mit ihren Nebenmenschen zu fühlen und
Mitarbeiter des demütigen Nazareners zu werden. An die ungelehrten, schwer
arbeitenden Fischer von Galiläa erging der Ruf: „Folget mir, und ich will euch
zu Menschenfischern machen. “ (Matth. 4, 19.) Diese Jünger waren demütig und
ließen sich belehren. Je weniger sie von den falschen Lehren ihrer Zeit
beeinflußt waren, desto erfolgreicher konnte Christus sie unterrichten und für
seinen Dienst heranbilden. So war es auch in den Tagen der großen Reformation.
Die leitenden Reformatoren waren Männer von geringer Herkunft - Männer, die
unter ihren Zeitgenossen von Rangstolz und dem Einfluß der Scheinfrömmigkeit
und Priesterlist am freiesten waren. Es liegt im Plane Gottes, sich demütiger
Werkzeuge zur Erreichung großer Erfolge zu bedienen. Dann wird nicht die Ehre
den Menschen gegeben, sondern dem, der durch sie das Wollen und das Vollbringen
nach seinem Wohlgefallen wirkt.
Nur wenige Wochen nach
Luthers Geburt in der Hütte eines sächsischen Bergmannes wurde in den Alpen
Ulrich Zwingli geboren. Zwinglis Umgebung in seiner Kindheit und seine erste
Erziehung waren derart, daß sie ihn für seine zukünftige Aufgabe vorbereiteten.
Erzogen inmitten einer Umgebung von natürlicher Pracht, feierlicher Schönheit
und Erhabenheit, wurde sein Gemüt frühzeitig von einem Gefühl der Größe, der
Macht und der Hoheit Gottes erfüllt. Die Geschichte der auf seinen heimatlichen
Bergen vollbrachten tapferen Taten entzündete seine jugendlichen Bestrebungen.
Zu den Füßen seiner frommen Großmutter lauschte er auf die wenigen köstlichen
Erzählungen aus der Bibel, welche sie aus den Legenden und den Überlieferungen
der Kirche entnommen hatte. Mit tiefem Anteil hörte er von den großen Taten der Erzväter und
Propheten, von den Hirten, die auf den Hügeln Palästinas ihre Herden weideten,
wo Engel mit ihnen von dem Kindlein zu Bethlehem und dem Mann auf Golgatha
redeten.
Gleich Hans Luther wünschte Zwinglis Vater, daß sein Sohn eine gute Ausbildung empfange, und der Knabe wurde frühzeitig aus seinem heimatlichen Tale fortgeschickt. Sein Verstand entwickelte sich rasch, und bald entstand die Frage, wo man fähige Lehrer für ihn finden könne. Im Alter von dreizehn Jahren ging er nach Bern, wo damals die hervorragendste Schule der Schweiz war. Hier jedoch erhob sich eine Gefahr, die sein verheißungsvolles Leben zu vernichten drohte. Die Mönche machten beharrliche Anstrengungen, ihn in ein Kloster zu locken. Die Dominikaner und die Franziskaner wetteiferten um die Gunst des Volkes, die sie durch den glänzenden Schmuck ihrer Kirchen, das Gepränge ihrer Zeremonien, den Reiz berühmter Reliquien und Wunder wirkende Bilder zu erreichen suchten.
Die Dominikaner von Bern sahen,
daß, falls sie diesen begabten jungen Studenten gewinnen könnten, sie sich
Gewinn und Ehre verschaffen würden. Seine außerordentliche Jugend, seine
natürliche Fähigkeit als Redner und Schreiber sowie seine Begabung für Musik
und Dichtkunst würden wirksamer sein, das Volk zu ihren Gottesdiensten
herbeizuziehen und die Einkünfte ihres Ordens zu vermehren als all ihr Prunk
und Aufwand. Durch Täuschung und Schmeichelei bemühten sie sich, Zwingli zu
verleiten, in ihr Kloster einzutreten. Luther hatte sich, während er Student
auf einer Hochschule war, in eine Klosterzelle begraben und würde für die Welt
verloren gewesen sein, hätte nicht Gottes Vorsehung ihn befreit.
Zwingli geriet nicht .in dieselbe Gefahr. Die Vorsehung fügte es so, daß sein
Vater von der Absicht der Mönche erfuhr, und da er nicht gewillt war, daß sein
Sohn dem müßigen und nutzlosen Leben der Mönche folge und erkannte, daß dessen
zukünftige Brauchbarkeit auf dem Spiele stand, wies er ihn an, unverzüglich
nach Hause zurückzukehren.
Der Jüngling gehorchte, doch blieb er nicht lange in seinem heimatlichen Tale; er nahm bald seine Studien wieder auf und ging kurze Zeit darauf nach Basel. Hier hörte Zwingli das Evangelium einer freien Gottesgnade zum ersten Mal. Wyttenbach, ein Lehrer der alten Sprachen, war durch das Studium des Griechischen und Hebräischen zu der Heiligen Schrift geführt worden, und so ergossen sich in die Gemüter derer, die er unterrichtete, Strahlen des göttlichen Lichtes. (Staehelin, Zwingli, 1. Bd., 1. Kap., S. 38-43, Basel, 1895.) Er erklärte, daß es eine Wahrheit gebe, die älter und von unendlich größerem Werte sei als die Ansichten der Schulgelehrten und Philosophen. Er lehrte, „der Tod Christi sei die einzige Genugtuung für unsere Sünden.“ (Wirz, helv. Kirchengesch. 3, S. 452.) Für Zwingli waren diese Worte wie der erste Lichtstrahl der Morgendämmerung.
Bald wurde Zwingli von Basel abgerufen, um seine Lebensaufgabe anzutreten.
Sein erstes Arbeitsfeld war eine Pfarrei in den Alpen, nicht weit von seinem
heimatlichen Tale. Nachdem Zwingli die Priesterweihe empfangen hatte, widmete
er sich ganz der Erforschung der göttlichen Wahrheit, „denn er wußte, fügte
Mykonius hinzu, wie vieles derjenige zu wissen nötig hat, welchem das Amt
anvertraut ist, die Herde Christi zu lehren.“ (Staehelin, 1. Bd., 2. Kap., S.
45.) Je mehr er in der Heiligen Schrift
forschte, desto deutlicher sah er den Gegensatz zwischen ihren Wahrheiten und
den Irrlehren Roms. Er unterwarf sich der Bibel als dem Worte Gottes, der
allein fähigen, unfehlbaren Richtschnur. Er sah, daß sie ihr eigener Ausleger
sein müsse, und wagte es nicht, die Heilige Schrift auszulegen, um eine
vorgefaßte Ansicht oder Lehre zu beweisen, sondern hielte es für seine Pflicht,
ihre bestimmte, offenbare Lehre zu erforschen. Er bediente sich eines jeden
Hilfsmittels, um ein volles und richtiges Verständnis ihres Sinnes zu erlangen
und erflehte den Beistand des Heiligen Geistes, der nach seiner Überzeugung es
allen, die ihn aufrichtig und mit Gebet suchten, offenbaren würde.
Zwingli schrieb hierüber: „Die Schrift ist von Gott und nicht von Menschen
hergekommen.“ 2.. Petr. 1, 21. „Eben der Gott, der erleuchtet, der wird auch
dir zu verstehen geben, daß seine Rede von Gott kommt.“ „Das Wort Gottes ist
gewiß, fehlt nicht, es ist klar, läßt nicht in der Finsternis irren, es lehrt
sich selbst, tut sich selbst auf und bescheint die menschliche Seele mit allem
Heil und Gnaden, tröstet sie in Gott, demütigt sie, so daß sie selbst verliert,
ja verwirft und faßt Gott in sich, in dem lebt sie, darnach fechtet sie.“
(Zwingli [Schuler und Schultheß] 1, S. 81.) Zwingli hatte die Wahrheit dieser
Worte an sich selbst erfahren, wie er auch später mit folgenden Worten bezeugt:
„Als ich vor sieben oder acht Jahren
anhub, mich ganz an die Heilige Schrift zu lassen, wollte mir Philosophie und
Theologie der Zänker immerdar ihre Einwürfe machen. Da kam ich zuletzt dahin,
daß ich dachte, (doch mit Schrift und Wort Gottes dazu geleitet): Du mußt das
alles lassen liegen und die Meinung Gottes lauter aus seinem eignen einfältigen
Wort lernen. Da hub ich an, Gott zu bitten um sein Licht, und fing mir an die
Schrift viel heller zu werden.“ (Zwingli 1, S. 79.)
Die Lehre, welche Zwingli verkündigte, hatte er nicht von Luther empfangen:
es war die Lehre Christi. „Predigt Luther Christum,“ schrieb der schweizerische
Reformator, „so tut er eben dasselbe, was ich tue; wiewohl, Gott sei gelobt,
durch ihn eine unzählbare Welt mehr als durch mich und andere zu Gott geführt
werden. Dennoch will ich keinen andern Namen tragen als den meines Hauptmanns
Christi, dessen Kriegsmann ich bin; der wird mir Amt und Sold geben, so viel
ihm gut dünkt.“ „Dennoch bezeuge ich vor Gott und allen Menschen, daß ich
keinen Buchstaben alle Tage meines Lebens Luther geschrieben habe, noch er mir,
noch hab ich solches veranstaltet. Solches habe ich nicht unterlassen aus
Menschenfurcht, sondern weil ich dadurch habe allen Menschen offenbaren wollen,
wie einhellig der Geist Gottes sei, daß wir so weit voneinander wohnen, dennoch
so einhellig die Lehre Christi lehren, obwohl ich ihm nicht anzuzählen bin,
denn jeder von uns tut, soviel ihm Gott weist.“ (Zwingli 1, S. 256 f.)
Zwingli wurde 1516 eine Pfarrstelle am Kloster zu Einsiedeln angeboten.
Hier sollte er eine klarere Einsicht in die Verderbtheit Roms erhalten und
einen reformatorischen Einfluß ausüben, der weit über seine heimatlichen Alpen
hinaus gefühlt wurde. Ein Gnadenbild der Jungfrau Maria, angeblich ein
wunderwirkendes, übte hier die größte Anziehung aus. Über der Eingangspforte
des Klosters prangte die Inschrift: „Hier findet man volle Vergebung aller
Sünden. “ (Wirz, 4, S. 142.) Das Jahr hindurch zogen Pilger zu dem Altare
Marias. Doch an einem jährlichen großen Feste kamen sie massenhaft aus allen
Teilen der Schweiz und auch aus Deutschland und Frankreich. Dieser Anblick
schmerzte Zwingli sehr, und er benutzte solche Gelegenheiten, ihnen die
herrliche Freiheit des Evangeliums zu verkündigen.
Die Verzeihung der Sünden
und das ewige Leben seien „bei Christo und nicht bei der heiligen Jungfrau zu
suchen; der Ablaß, die Wallfahrt und Gelübde, die Geschenke, die man den
Heiligen mache, haben wenig Wert. Gottes Gnade und Hilfe sei allen Orten gleich
nahe, und er höre das Gebet anderswo nicht weniger als zu Einsiedeln.“ (Wirz,
4, S. 142.) „Wir ehren Gott mit Plappergebeten, mit viel Fasten, mit
auswendigem Schein der Kutten, mit weißen Geschleife, mit säuberlich
geschorenen Glatzen, mit langen, schön gefalteten Röcken, mit wohl vergoldeten
Mauleseln.“ „Aber das Herz ist fern von Gott.“ „Christus, der sich einmal für
uns geopfert, ist ein in Ewigkeit währendes und bezahlendes Opfer für die
Sünden aller Gläubigen.“
(Zwingli, 1, S. 216. 232.)
Nicht allen seiner vielen Zuhörer war diese Lehre willkommen. Es
enttäuschte manche sehr, daß ihre lange und mühsame Pilgerreise umsonst gemacht
worden sei. Sie konnten die ihnen in Christo frei angebotene Vergebung nicht
fassen, und der alte Weg zum Himmel, wie ihn Rom vorgezeichnet hatte, genügte
ihnen. Sie schreckten zurück vor der Schwierigkeit, nach etwas Besserem zu suchen.
Ihre Seligkeit Papst und Priestern anzuvertrauen, fiel ihnen leichter, als nach
Reinheit des Herzens zu trachten. Andere
aber freuten sich über die frohe Kunde der Erlösung in Christo. Ihnen hatten
die von Rom auferlegten Bürden keinen Seelenfrieden gebracht, und gläubig
nahmen sie des Heilandes Blut zu ihrer Versöhnung an. Froh kehrten sie nach
ihrer Heimat zurück, um andern das empfangene köstliche Licht zu offenbaren.
Auf diese Weise pflanzte sich die Wahrheit von Weiler zu Weiler und von Stadt
zu Stadt fort, die Zahl der Pilger nach dem Altar der Jungfrau dagegen nahm ab,
die Gaben verringerten sich, und somit auch sein Gehalt, das aus diesen Gaben
bestritten wurde. Doch ihm verursachte es nur Freude zu sehen, daß die Macht
des Fanatismus und Aberglaubens gebrochen wurde.
Seine Vorgesetzten wußten von Zwinglis Wirken. Er drang in sie, die
Mißstände abzustellen; aber sie schritten nicht ein, sondern hofften durch
Schmeichelei ihn für ihre Sache zu gewinnen. Unterdessen faßte die Wahrheit
Wurzel in den Herzen des Volkes. Zwinglis Wirken in Einsiedeln hatte ihn für
ein größeres Feld vorbereitet, welches er bald betreten sollte. Im Dezember
1518 wurde er zum Leutpriester am Dom in Zürich berufen. Es war damals schon
die bedeutendste Stadt der schweizerischen Genossenschaft, so daß der dort
ausgeübte Einfluß sich weithin fühlbar machte. Die Domherren, auf deren
Einladung Zwingli nach Zürich gekommen war, schärften ihm bei seiner
Verpflichtung zur Amtsordnung, da sie Neuerungen befürchteten, folgende Hauptpflichten
ein:
„Du mußt nicht versäumen, für die Einkünfte des Domkapitels zu sorgen und
auch das Geringste nicht verachten. Ermahne die Gläubigen von der Kanzel und
dem Beichtstuhle, alle Abgaben und Zehnten zu entrichten und durch Gaben ihre
Anhänglichkeit an die Kirche zu bewähren. Auch die Einkünfte von Kranken, von
Opfern und jeder andern kirchlichen Handlung mußt du zu mehren suchen. Auch
gehört zu deinen Pflichten die Verwaltung des Sakramentes, die Predigt und die
Seelsorge. In mancher Hinsicht, besonders in der Predigt, kannst du dich durch
einen Vikar ersetzen lassen. Die Sakramente brauchst du nur den Vornehmen, wenn
sie dich fordern, zu reichen; du darfst es sonst ohne Unterschied der Personen
nicht tun.“ (Schuler, Zwingli, S. 227; Hottinger, Hist. Eccl. 4, S. 6385.)
Ruhig hörte Zwingli diesem Auftrage zu, drückte auch seinen gebührenden
Dank aus für die Ehre, zu solchem wichtigen Amt berufen worden zu sein und
erklärte ihnen, welchen Lauf er einzuschlagen gedenke: „Von der Geschichte
Christi des Erlösers, wie sie der Evangelist Matthäus beschrieben hat, sei wohl
schon der Titel länger bekannt, aber deren Vortrefflichkeit sei schon lange
Zeit nicht ohne Verlust des göttlichen Ruhmes und der Seelen verborgen
geblieben. Dasselbe sei nicht nach menschlichem Gutdünken zu erklären, sondern
im Sinne des Geistes mit sorgfältigem Vergleich und innigem Gebet,“ (Myconius,
Zwingli, S. 6) „alles zur Ehre Gottes und seines einigen Sohnes und dem rechten
Heil der Seelen und Unterrichtung der frommen und biedern Leute.“ (Bullinger,
1. Bd., 4. Kap., Frauenfeld, 1838.) Wiewohl etliche Domherren diesen Plan nicht
billigten und ihn davon abzubringen suchten, blieb doch Zwingli standhaft und
erklärte, diese Art zu predigen sei keine neue, sondern gerade die alte und ursprüngliche,
wie sie die Kirche in ihrem reineren Zustande geübt habe.
Da bereits seine Zuneigung für die von ihm gelehrten Wahrheiten geweckt
war, strömte das Volk in großer Zahl herzu, um seinen Predigten zu lauschen.
Viele, die schon lange keine Gottesdienste besucht hatten, befanden sich unter
seinen Zuhörern. Er begann sein Amt mit dem ersten Kapitel Matthäus und
erklärte, wie ein Zuhörer dieser ersten Predigt berichtet, „das Evangelium so
köstlich durch alle Propheten und Patriarchen, desgleichen auch nach aller
Urteil nie gehört worden war.“ (Füßli, Beiträge, 4, S. 34.) Wie in Einsiedeln,
so stellte er auch hier das Wort Gottes als die alleinige unfehlbare Autorität
und den Tod Christi als das einzige, völlige Opfer dar. Sein Hauptzweck war, „Christus aus der Quelle zu predigen und den
reinen Christus in die Herzen einzupflanzen.“ Zwingli 7, S. 142 f.) Alle Stände
des Volkes, Ratsherren und Gelehrte
sowohl wie auch der Handwerker und Bauer, scharten sich um diesen Prediger. Mit
innigstem Anteil lauschten sie seinen Worten. Er verkündigte nicht nur das
Angebot eines freien Heils, sondern rügte auch furchtlos die Übelstände und
Verderbnisse seiner Zeit. Viele priesen Gott bei ihrer Rückkehr aus dem Dom und
sprachen: „Dieser ist ein rechter Prediger der Wahrheit, der wird sagen, wie
die Sachen stehn und als ein Moses uns aus Ägypten führen.“ (Hottinger,
helv. Kirchengesch., 6, S. 40.)
Seine Bemühungen wurden zuerst mit großer Begeisterung aufgenommen; doch mit der Zeit regte sich der Widerstand immer mehr. Die Mönche bemühten sich, sein Werk zu hindern und seine Lehren zu verurteilen. Viele bestürmten ihn mit Hohn und Spott; andere drohten und schmähten. Zwingli erduldete alles mit christlicher Geduld und sagte: „Wenn man die Bösen zu Christo führen will, so muß man bei manchem die Augen zudrücken. “ (Salats, Ref.-Chr., S. 155.)
Ungefähr um diese Zeit kam ein neues Werkzeug hinzu, die Sache der
Reformation zu fördern. Ein gewisser Lucian wurde von einem Freunde des
reformierten Glaubens in Basel, welcher meinte, daß der Verkauf jener Bücher
ein mächtiges Mittel zur Ausbreitung des Lichtes sein möchte, mit etlichen
Schriften Luthers nach Zürich gesandt. Er schrieb Zwingli: „Wenn nun dieser
Lucian Klugheit und Geschmeidigkeit genügend zu haben scheint, so muntere ihn
auf, daß er Luthers Schriften, vor allen die für Laien gedruckte Auslegung des
Herrn Gebets, in allen Städten, Flecken, Dörfern, auch von Haus zu Haus
verbreite. Je mehr man ihn kennt, desto mehr Absatz hat er. Doch soll er sich
hüten, gleichzeitig andere Bücher zu verkaufen, denn je mehr er gezwungen ist,
nur diese anzupreisen, eine desto größere Menge solcher Bücher verkauft er.“
(Zwingli, 7, S. 81, 2. Juli 1519.) Auf solche Weise fand das Licht Eingang.
Doch wenn Gott sich anschickt, die Fesseln der Unwissenheit und des Aberglaubens zu brechen, dann wirkt auch Satan mit der größten Macht, die Menschen in Finsternis zu hüllen und ihre Bande noch fester zu schmieden. Männer standen in verschiedenen Ländern auf, um den Menschen die freie Vergebung und Rechtfertigung durch das Blut Christi anzubieten; Rom aber öffnete mit erneuter Tatkraft seinen Markt in der ganzen Christenheit, Vergebung um Geld feilzubieten.
Jede Sünde hatte ihren Preis, und den Menschen wurde volle Freiheit für grobe Vergehungen gewährt, wenn nur der Schatzkasten der Kirche damit wohl gefüllt erhalten wurde. So schritten beide Bewegungen voran, die eine bot Freisprechung von Sünden um Geld an, die andere Vergebung durch Christum; Rom erlaubte die Sünde und machte sie zu einer Quelle seiner Einnahmen; die Reformatoren verurteilten die Sünde und wiesen auf Christum als den einzigen Versöhner und Befreier hin.
In Deutschland war der Verkauf von Ablässen den Dominikanermönchen
anvertraut worden, wobei Tetzel solche berüchtigte Rolle spielte. In der
Schweiz lag der Handel in den Händen der Franziskaner und wurde von Samson,
einem italienischen Mönch, geleitet. Samson hatte der Kirche bereits gute
Dienste geleistet, indem er sich aus der Schweiz und auch aus Deutschland
ungeheure Summen verschafft hatte, um die Schatzkammer des Papstes zu füllen.
Jetzt durchreiste er die Schweiz unter großem Zuzug, beraubte die armen
Landleute ihres dürftigen Einkommens und erpreßte reiche Geschenke von den
wohlhabenden Klassen. Aber der Einfluß der Reformation machte sich bereits
fühlbar, und dieser Handel wurde, wenn ihm auch nicht völlig Einhalt geboten
werden konnte, sehr beschnitten. Als Samson zuerst die Schweiz betrat und den
Ablaß in einem benachbarten Orte anbot, weilte Zwingli noch zu Einsiedeln.
Sobald er von seinem Kommen hörte, widersetzte er sich ihm auch. Die beiden
trafen sich wohl nicht, doch stellte Zwingli die Anmaßungen des Mönches mit
solchem Erfolge bloß, daß Samson die Gegend verlassen mußte.
Auch in Zürich predigte Zwingli eifrig gegen den Ablaßhandel, und als
Samson sich später dieser Stadt näherte, deutete ihm ein Ratsbote an, er solle
weiterziehen. Doch schließlich verschaffte er sich durch List Eingang, wurde
jedoch fortgeschickt ohne einen einzigen Ablaß verkauft zu haben, und bald
darauf verließ er die Schweiz. (Staehelin, Zwingli, 1. Bd., 2. Kap. S. 144f.,
Basel, 1895.)
Das Auftreten der Pest, des sogenannten „schwarzen Todes“, welche 1519 die
Schweiz heimsuchte, verlieh der Reformation einen großen Anstoß. Als die Menschen
auf diese Weise dem Verderben von Angesicht zu Angesicht gegenübergestellt
wurden, fingen viele an einzusehen, wie nichtig und wertlos die Ablässe seien,
die sie so kürzlich gekauft hatten, und sie sehnten sich nach einem sicheren
Grund für ihren Glauben. In Zürich wurde auch Zwingli niedergeworfen und lag so
schwer krank danieder, daß alle Hoffnung auf seine Genesung aufgegeben wurde
und weit umher das Gerücht sich verbreitete, er sei tot. In jener schweren
Stunde der Prüfung blieben jedoch seine Hoffnung und sein Mut unerschüttert. Er
blickte im Glauben auf das Kreuz von Golgatha und vertraute auf die
allgenugsame Versöhnung für die Sünde. Als er von der Pforte des Todes
zurückkehrte, predigte er das Evangelium mit größerer Kraft als je zuvor, und seine
Worte übten eine ungewöhnliche Macht aus. Das Volk begrüßte seinen geliebten
Seelsorger, der von der Schwelle des Grabes zu ihm zurückkehrte, mit Freuden.
Selbst mit der Besorgung der Kranken und Sterbenden beschäftigt, fühlte es wie
nie zuvor den Wert des Evangeliums.
Zwingli war zu einem klareren Verständnis der Evangeliumswahrheit gelangt
und hatte an sich selbst seine neu gestaltende Macht völliger erfahren. Der
Sündenfall und der Erlösungsplan waren die Gegenstände, mit welchen er sich
beschäftigte. Er schrieb: „In Adam sind wir alle tot und in Verderbnis und
Verdammnis versunken,“ aber Christus ist „wahrer Mensch, gleichwie wahrer Gott
und ein ewig währendes Gut. “ „Sein
Leiden ist ewig gut und fruchtbar, tut der göttlichen Gerechtigkeit in Ewigkeit
für die Sünden aller Menschen genug, die sich sicher und gläubig darauf
verlassen.“ Doch lehrte er deutlich, daß es den Menschen wegen der Gnade
Christi nicht freistehe, in Sünde fortzufahren. „Siehe, wo der wahre Glaube ist
(der von der Liebe nicht geschieden), da ist Gott. Wo aber Gott ist, da
geschieht nichts Arges,... da fehlt es nicht an guten Werken.“ (Zwingli 1,
S. 182 f., Art. 5.)
Zwinglis Predigten erregten ein solches Aufsehen, daß der Dom die Menge
nicht fassen konnte, die kam, um ihm zuzuhören. Nach und nach wie sie es
ertragen konnten, eröffnete er seinen Zuhörern die Wahrheit. Er war sorgfältig,
nicht gleich am Anfang Lehren einzuführen, welche sie erschrecken und
Vorurteile erregen würden. Seine Aufgabe war, ihre Herzen für die Lehren Christi
zu gewinnen, sie durch seine Liebe zu erweichen und ihnen sein Beispiel vor
Augen zu halten; dann würden auch, indem sie die Grundsätze des Evangeliums
annahmen, ihre abergläubischen Begriffe und Gebräuche unvermeidlich schwinden.
Schritt für Schritt ging die Reformation in Zürich vorwärts Voll Schrecken
erhoben sich ihre Feinde zu tatkräftigem Widerstand. Ein Jahr zuvor hatte der
Mönch von Wittenberg in Worms dem Papst und dem Kaiser sein Nein ausgesprochen,
und nun schien in Zürich alles auf ein ähnliches Widerstreben gegen die
päpstlichen Aussprüche hinzudeuten. Zwingli wurde wiederholt angegriffen. In
den päpstlichen Kantonen wurden von Zeit zu Zeit Jünger des Evangeliums auf den
Scheiterhaufen gebracht., doch das genügte nicht; der Lehrer der Ketzerei mußte
zum Schweigen gebracht werden. Demgemäß sandte der Bischof von Konstanz drei
Abgeordnete an den Rat zu Zürich mit der Anklage, daß Zwingli das Volk lehre,
die Gesetze der Kirche zu übertreten und er somit den Frieden und die gute
Ordnung der Gesellschaft gefährde. Sollte aber, behauptete er, die Autorität
der Kirche unberücksichtigt bleiben, so würde ein Zustand allgemeiner
Gesetzlosigkeit eintreten. Zwingli antwortete: „Ich habe schon beinahe vier
Jahre lang das Evangelium Jesu mit saurer Mühe und Arbeit hier gepredigt.
Zürich ist ruhiger und friedlicher als kein anderer Ort der Eidgenossenschaft,
und dies schreiben alle guten Bürger dem Evangelium zu.“ (Wirz, B d. 4, S. 226.
227.)
Die Abgeordneten des Bischofs hatten die Räte ermahnt, da es außer der
Kirche kein Heil gebe, in ihr zu verharren. Zwingli erwiderte: „Laßt euch, liebe Herrn und Bürger, durch
diese Ermahnung nicht auf den Gedanken führen, daß ihr euch jemals von der
Kirche Christi gesondert habt. Ich glaube zuversichtlich, daß ihr euch noch
wohl zu erinnern wißt, was ich euch in meiner Erklärung über Matthäus gesagt
habe, daß jener Fels, welcher dem ihn redlich bekennenden Jünger den Namen
Petrus gab, das Fundament der Kirche sei. In jeglichem Volk, an jedem Ort, wer
mit seinem Munde Jesum bekennt und im Herzen glaubt, Gott habe ihn von den
Toten auferweckt, wird selig werden. Es ist gewiß, daß niemand außer derjenigen
Kirche selig werden kann.“ (Ebd. S. 233.) Die Folge der Verhandlung war,
daß bald darauf Wanner, einer der drei Abgeordneten des Bischofs, sich offen
zum Evangelium bekannte. (Staehelin, Zwingli, 1. Bd. 5. Kap. S. 212. Basel,
1895.)
Der Züricher Rat lehnte jedes Vorgehen gegen Zwingli ab, und Rom rüstete sich zu einem neuen Angriff. Da aber Zwingli vernahm, daß sie den Kampf erneuern wollten, schrieb er, „welche ich weniger fürchte, wie ein hohes Ufer die Wellen drohender Flüsse. Mit Gott!“ (Zwingli 7, S. 202, 22. Mai 1522.) Die Anstrengung der Priester förderten nur die Sache, welche sie zu stürzen trachteten. Die Wahrheit breitete sich immer mehr aus. In Deutschland faßten die Anhänger Luthers, welche durch sein Verschwinden niedergeschlagen waren, neuen Mut, da sie von dem Fortschritt des Evangeliums in der Schweiz hörten.
Als die Reformation in
Zürich Wurzel faßte, sah man ihre Früchte in der Unterdrückung des Lasters und
in der Förderung guter Ordnung und friedlichen Einvernehmens, so daß Zwingli
schreiben konnte: „Der Friede weilt in unserer Stadt. Zu dieser Ruhe hat aber
wohl die Einigkeit der Prediger des Worts nicht das geringste beigetragen.
Zwischen uns gibt es keine Spannung, keine Zwietracht, keinen Neid,
keine Zänkereien und Streitigkeiten. Wem könnte man aber diese Übereinstimmung der Gemüter mehr
zuschreiben als wie dem höchsten, besten Gott?“ (Zwingli, 7, S. 389, 5.
April 1525.)
Die von der Reformation
errungenen Siege reizten die Anhänger Roms zu noch größeren Anstrengungen, sie
zu vernichten. Da die
Unterdrückung der Sache Luthers in Deutschland durch Verfolgung so wenig
fruchtete, entschlossen sie sich, die Reform mit ihrer eigenen Waffe zu
schlagen. Sie wollten ein Streitgespräch mit Zwingli halten, und da die
Anordnung der Sache in ihrer Hand lag, wollten sie sich dadurch den Sieg
sichern, daß sie beides, den Kampfplatz und die Richter wählten, welche
zwischen den Streitenden entscheiden sollten. Konnten sie einmal Zwingli in
ihre Gewalt bekommen, dann wollten sie schon dafür sorgen, daß er ihnen nicht
entwische. Und war der Führer zum
Schweigen gebracht, dann konnte die Bewegung rasch erstickt werden. Doch verheimlichten
sie sorgfältig ihre Absicht.
Das Religionsgespräch wurde in Baden
abgehalten; Zwingli wohnte aber nicht bei. Der Züricher Rat mißtraute den
Absichten Roms, auch das Auflodern der in den katholischen Kantonen für die
Evangelischen angezündeten Scheiterhaufen diente als Warnung; Deshalb verbot er
seinem Seelsorger, sich dieser Gefahr auszusetzen. Zwingli stand bereit, sich
allen Römlingen in Zürich zur Verantwortung zu stellen, aber nach Baden zu
gehen, wo eben erst das Blut von Märtyrern um der Wahrheit willen vergossen
worden war, hätte für ihn nur sicheren Tod bedeutet. Ökolampad und Haller
vertraten die Reformation, während der bekannte Dr. Eck, den eine Schar
päpstlicher Gelehrten und Kirchenfürsten unterstützten, der Kämpe Roms war.
War auch Zwingli nicht
zugegen, so wurde doch sein Einfluß verspürt. Die Katholischen hatten selbst die Schreiber
bestimmt, und allen andern war jede Aufzeichnung bei Todesstrafe verboten.
Dessen ungeachtet erhielt Zwingli täglich von den in. Baden abgehaltenen Reden genauen
Bericht. Ein bei den Verhandlungen anwesender Student schrieb jeden Abend die
Beweisführungen auf. Zwei andere Jünglinge übernahmen es, diesen Bericht über
die Verhandlungen des Tages sowie die brieflichen Anfragen Ökolompads und
seiner Genossen an Zwingli zu befördern. Die brieflichen Antworten des
Reformators mußten nachts geschrieben und seine Ratschläge und Andeutungen
erteilt werden. Frühmorgens kehrten dann die Jünglinge nach Baden zurück. Um
der Wachsamkeit der an den Stadttoren aufgestellten Hüter zu entgehen, brachten
sie auf ihren Häuptern Körbe mit Federvieh und konnten so ungehindert
hindurchgehen.
Auf diese Weise kämpfte Zwingli mit seinen verschlagenen Gegnern. „Er hat“,
schreibt Myconius, „während des Gesprächs durch Nachdenken, Wachen, Raten,
Ermahnen und Schreiben mehr gearbeitet, als wenn er der Disputation selbst
beigewohnt hätte.“ (Zwingli, 7, S. 517; Myconius, Vita Zwingli, S. 10.)
Die Römlinge, jubelfroh
infolge des voraussichtlichen Sieges, hatten sich in ihrem schönsten Kleide und
ihren glänzendsten Juwelen nach Baden begeben. Sie lebten schwelgerisch; ihre
Tafeln waren mit den köstlichsten Leckerbissen und ausgesuchtesten Weinen
besetzt. Die Lasten ihrer kirchlichen Pflichten wurden mit Schmausen und
Lustbarkeiten erleichtert. In bezeichnendem Gegensatz erschienen die
Reformatoren, welche von dem Volke als wenig besser denn eine Schar von
Bettlern angesehen wurden, und ihre anspruchslosen Mahlzeiten hielten sie nur
kurze Zeit bei Tische. Ökolampads Hauswirt, der Anlaß nahm, ihn auf seinem
Zimmer zu überwachen, fand ihn stets beim Studium oder im Gebet und sagte in
großer Verwunderung: „Man muß gestehen, das ist ein sehr frommer Ketzer.“ (D'Aubigné, 11. Buch, 13. Kap., S. 271,
Stuttgart, 1848. Siehe auch Bullinger, 1. Bd., 189 Kap. S. 351, Frauenfeld,
1838.)
Bei der Versammlung betrat Eck „eine prächtig verzierte Kanzel, der einfach gekleidete Ökolampad mußte ihm gegenüber auf ein grob gearbeitetes Gerüste treten.“ (D'Aubigné, ebd., S. 270.) Ecks mächtige Stimme und seine unbegrenzte Zuversicht ließen ihn nie im Stich. Sein Eifer wurde durch die Aussicht auf Gold und Ruhm gereizt, war doch dem Verteidiger des Glaubens eine ansehnliche Belohnung zugesichert. Wo es ihm an besseren Belegen mangelte, wandte er beleidigende Reden und sogar Flüche an.
Der bescheidene Ökolampad, der in sich kein Vertrauen setzte, hatte vor dem
Streit zurückgeschreckt und erklärte am Anfang feierlichst, daß alles nach dem
Worte Gottes als Richtschnur ausgemacht werden sollte. Sein Auftreten war
bescheiden und geduldig, doch erwies er sich als fähig und tapfer. „Eck, der
mit der Schrift nicht zurechtkommen konnte, berief sich immer wieder auf
Überlieferungen und Herkommen, Ökolompad antwortet: ’Über allen Übungen steht
in unserem Schweizerlande das Landesrecht. Unser Landbuch aber (in
Glaubenssachen) ist die Bibel.` (Hagenbach, Väter d. ref. Kirche, Bd. 2, S.
94.)
Der Gegensatz zwischen den beiden Hauptrednern verfehlte nicht seine Wirkung. Die ruhige, deutliche Beweisführung Ökolampads und sein bescheidenes Betragen gewannen die Gemüter für sich, welche sich mit Widerwillen von den prahlerischen und lauten Behauptungen Ecks abwandten. Das Religionsgespräch dauerte 18 Tage. An dessen Schlusse beanspruchten die Anhänger Roms mit großer Zuversicht den Sieg. Die meisten Abgesandten hielten es mit Rom, und die Sitzung erklärte die Reformatoren für geschlagen und mit Zwingli, ihrem Haupt, von der Kirche ausgeschlossen. Die Früchte dieses Religionsgespräches offenbarten jedoch, auf welcher Seite der Vorteil lag. Das Streitgespräch verlieh der protestantischen Sache einen starken Antrieb, und nicht lange nachher erklärten sich die wichtigen Städte Bern und Basel für die Reformation.