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Karl V.
schien der gemachte Herrscher zu sein für Europa, bis er Martin Luther
begegnete. Damit begannen seine Schwierigkeiten, die in einem aussichtslosen,
lebenslangen Krieg endeten.
Es ist
eine faszinierende Geschichte, Martin Luther zu erleben, wie er Gottes Wort vor
den Mächtigen dieser Welt verteidigte - obwohl er wußte, daß dies seinen Tod
zur Folge haben könnte.
Hier stehe Ich…
Ein neuer Kaiser, Karl V.,
hatte den Thron Deutschlands bestiegen, und die römischen Legaten beeilten
sich, ihre Glückwünsche darzubringen und den Monarchen zu bewegen, seine Macht
gegen die Reformation anzuwenden. Auf der anderen Seite ersuchte ihn der
Kurfürst von Sachsen, dem der Kaiser zum großen Teil seine Krone verdankte,
keine Schritte gegen Luther zu unternehmen, bevor er ihm Gehör verliehen hätte. Der Kaiser sah sich auf diese Weise in
eine sehr schwierige Lage versetzt. Die Römlinge würden mit nichts Geringerem
als einem kaiserlichen Erlaß, der Luther zum Tode verurteilte, zufrieden sein.
Der Kurfürst hatte bestimmt erklärt, ihm sei weder von kaiserlicher Majestät
noch von sonst jemand nachgewiesen worden, daß Luthers Schriften widerlegt
seien; er verlange deshalb, daß Luther unter sicherem Geleite vor gelehrten,
frommen und unparteiischen Richtern erscheine. (Köstlin, Luther, S. 365f., 398;
Elberf., 1883.)
Die Aufmerksamkeit aller Parteien wurde nun auf die Versammlung der deutschen Staaten gerichtet, welche kurz nach dem Karl den kaiserlichen Thron bestiegen hatte, in Worms tagte. Wichtige politische Fragen und Gegenstände sollten auf dieser Nationalberatung erörtert werden; zum ersten Mal sollten die deutschen Fürsten ihrem jugendlichen Monarchen auf einer Ratsversammlung begegnen. Aus allen Teilen des Vaterlandes hatten sich die Würdenträger der Kirche und des Staates eingefunden. Weltliche Herren vom Adel, gewaltig und eifersüchtig auf ihre Erbrechte; Kirchenfürsten, stolz in dem Bewußtsein ihrer Überlegenheit in Rang und Macht; galante Ritter und ihr bewaffnetes Gefolge; Gesandte von fremden und fernen Ländern - alle versammelten sich in Worms. Und auf dieser ungeheuren Versammlung war der Gegenstand, der die größte Aufmerksamkeit erregte, die Sache des sächsischen Reformators
Karl hatte zuvor den Kurfürsten angewiesen, Luther mit sich auf den
Reichstag zu bringen; er hatte ihm des Schutzes versichert und ihm eine freie
Erörterung mit maßgebenden Personen zugesagt, um die strittigen Punkte zu
besprechen. Luther wartete mit Spannung auf sein Erscheinen vor dem Kaiser.
Seine Gesundheit hatte zu jener Zeit sehr gelitten; doch schrieb er an den
Kurfürsten: „Ich werde, wenn man mich ruft, kommen, so weit an mir liegt, ob
ich mich auch krank müßte hinfahren lassen, denn man darf nicht zweifeln, daß
ich vom Herrn gerufen werde, wenn der Kaiser mich ruft. Greifen sie zur Gewalt,
wie es wahrscheinlich ist - denn dazu, um belehrt zu werden, lassen sie mich
nicht rufen -, so muß man dem Herrn die Sache befehlen; dennoch lebt und
regiert derselbige, der die drei Knaben im Feuerofen des Königs von Babylon
erhalten hat. Will er mich nicht erhalten, so ist's um meinen Kopf eine geringe
Sache,... man muß nur dafür sorgen, daß wir das Evangelium, das wir begonnen,
den Gottlosen nicht zum Spott werden lassen,... wir wollen lieber unser Blut
dafür vergießen. Wir können nicht wissen, ob durch unser Leben oder unsern Tod
dem allgemeinen Wohle mehr genützt werde; ... nimm von mir alles, nur nicht,
daß ich fliehe oder widerrufe: fliehen will ich nicht, widerrufen noch viel weniger.
“ (L. W., St. L., B d - 15, S. 1885f ., Dez. 21. 1520.)
Als sich zu Worms die Nachricht verbreitete, daß Luther vor dem Reichstag
erscheinen sollte, rief sie eine allgemeine Aufregung hervor. Aleander, der
päpstliche Gesandte, dem der Fall besonders anvertraut worden war, geriet in
Unruhe und Wut. Er sah, daß die Folgen für die päpstliche Sache verhängnisvoll
werden würden. Eine Untersuchung anzustellen in einem Falle, in welchem der
Papst bereits das Verdammungsurteil ausgesprochen hatte, hieße die Autorität
des unumschränkten Priesterfürsten geringschätzen. Auch befürchtete er, daß die
beredten und gewaltigen Beweisführungen dieses Mannes viele der Fürsten von der
Sache des Papstes abwendig machen könnten. Er erhob deshalb vor Karl auf die
dringlichste Weise Einwendungen gegen das Erscheinen Luthers in Worms. Ungefähr
um diese Zeit wurde die Bulle, welche Luthers Ausschließung erklärte,
veröffentlicht, und dies, zusammen mit den Vorstellungen des Legaten,
veranlaßte den Kaiser, nachzugeben. Er schrieb dem Kurfürsten, daß, wenn Luther
nicht widerrufen wolle, er zu Wittenberg bleiben müsse.
Nicht zufrieden mit diesem Siege wirkte Aleander mit aller ihm zu Gebote stehenden Macht und Schlauheit daraufhin, Luthers Verurteilung zu erreichen. Mit einer Beharrlichkeit, die einer besseren Sache würdig gewesen wäre, lenkte er die Aufmerksamkeit der Fürsten, Prälaten und anderer Mitglieder der Versammlung auf die Sache, indem er den Reformator des Aufstandes, der Empörung, Gottlosigkeit und Gotteslästerung anschuldigte. Aber die Heftigkeit und Leidenschaft, welche der Legat an den Tag legte, zeigten nur zu deutlich, von welchem Geist er getrieben wurde. Man fühlte allgemein, „es sei mehr Neid und Rachelust als Eifer der Frömmigkeit, die ihn aufreizten.“ (Cochlaeus J., „De actis et scriptis M. Lutheri,“ S. 27-29, Paris, 1565.) Die Mehrzahl der Reichsstände war geneigter als je, Luthers Sache günstig zu beurteilen.
Mit doppeltem Eifer drang
Aleander in den Kaiser, daß es seine Pflicht sei, die päpstlichen Erlasse auszuführen.
Dies konnte jedoch unter den bestehenden deutschen Gesetzen nicht ohne die
Zustimmung der Fürsten getan werden; und schließlich der Zudringlichkeit des
Legaten unterliegend, gestattete ihm Karl, seine Sache vor den Reichstag zu
bringen. „Es war ein
stolzer Tag für den Nuntius. Die Versammlung war groß; noch größer war die
Sache. Aleander sollte für Rom, die Mutter und Herrin aller Kirchen, das Wort
führen.“ Er sollte vor den versammelten Machthabern der Christenheit das
Fürstentum Petri rechtfertigen. „Er hatte die Gabe der Beredsamkeit und zeigte
sich der Erhabenheit des Anlasses gewachsen. Die Vorsehung wollte es, daß Rom
vor dem erlauchtesten Tribunal erscheinen und seine Sache durch den begabtesten
seiner Redner vertreten werden sollte, ehe es verdammt würde.“ (Wylie, History
of Protestantism, 6. Buch, 4. Kap.)
Mit Besorgnis sahen die Gönner des Reformators der Wirkung der Rede
Aleanders entgegen. Der Kurfürst von Sachsen war nicht zugegen, doch wohnten
nach seiner Bestimmung etliche seiner Räte bei, um die Ansprache des Nuntius zu
berichten.
Aleander bot alle Gelehrsamkeit und Beredsamkeit auf, die Wahrheit zu
stürzen. Beschuldigung auf Beschuldigung schleuderte er gegen Luther als einen
Feind der Kirche und des Staates, der Lebenden und der Toten, der Geistlichkeit
und der Laien, der Konzilien und der einzelnen Christen. Er sagte, in Luthers
Schriften seien so viele Irrtümer, daß hunderttausend Ketzer ihrethalben
verbrannt werden könnten.
Zum Schluß versuchte er, die Anhänger der Reformation verächtlich zu
machen. „Wie viel zahlreicher, gelehrter und an jenen Gaben, welche im
Wettstreit den Ausschlag geben, überlegener ist doch die katholische Partei!
Die berühmtesten Universitäten haben Luther verurteilt. Wer dagegen sind diese
Lutheraner? Ein Haufe unverschämter Grammatiker, verderbter Priester,
unordentlicher Mönche, unwissender Advokaten, entarteter Adeliger und
verführten Pöbels. Ein einstimmiger Beschluß dieser erlauchten Versammlung wird
die Einfältigen belehren, die Unklugen warnen, die Schwankenden befestigen und
die Schwachen kräftigen.“ (Pallavicini, 1. Buch, 25. Kap., S. 111.)
Mit solchen Waffen sind die Verteidiger der Wahrheit zu jeder Zeit
angegriffen worden. Dieselben Beweise werden noch immer gegen alle vorgebracht,
welche es wagen, im Gegensatz zu den eingebürgerten Irrtümern die klaren und
deutlichen Lehren des Wortes Gottes zu zeigen. Wer sind diese Prediger neuer
Lehren? Rufen diejenigen aus, welche eine volkstümliche Religion begehren. Es
sind Ungebildete, gering an Zahl und aus dem ärmeren Stande; doch behaupten
sie, die Wahrheit zu haben und das auserwählte Volk Gottes zu sein. Sie sind
unwissend und betrogen. Wieviel steht unsere Kirche an Zahl und Einfluß über
ihnen! Wie viele gelehrte und große Männer sind in unseren Reihen, wieviel mehr
Macht auf unserer Seite! Dies sind Beweise, welche einen entscheidenden Einfluß
auf die Welt haben, aber jetzt nicht folgerichtiger sind als in den Tagen des
Reformators.
Die Reformation endete nicht mit Luther, wie viele annehmen; sie muß bis
zum Ende der Geschichte dieser Welt fortgesetzt werden. Luthers großes Werk
bestand darin, das Licht, das Gott auf ihn scheinen ließ, auf andere
widerstrahlen zu lassen; doch hatte er nicht alles Licht empfangen, welches der
Welt mitgeteilt werden sollte. Von jener Zeit an bis heute hat ununterbrochen
neues Licht auf die Heilige Schrift geschienen, und neue Wahrheiten sind
seither beständig enthüllt worden.
Die Ansprache des Legaten machte einen tiefen Eindruck auf den Reichstag.
(Hefele, Konziliengesch., Bd. 9, S. 202.) Kein Luther war zugegen, um den
päpstlichen Kämpfer mit den klaren und überzeugenden Wahrheiten des Wortes
Gottes zu überwinden. Kein Versuch wurde gemacht, den Reformator zu
verteidigen. Man war allgemein geneigt, nicht nur ihn und seine Lehren zu
verdammen, sondern womöglich auch die Ketzerei selbst auszurotten. Rom hatte
die günstigste Gelegenheit gehabt, seine Sache zu verteidigen. Alles, was es zu seiner Rechtfertigung
sagen konnte, war gesagt worden. Aber der scheinbare Sieg war das Zeichen der
Niederlage. Künftighin sollte der Gegensatz zwischen Wahrheit und Irrtum
deutlicher erkannt werden, da sie sich im offenen Kampfe messen sollten. Von
jenem Tage an sollte Rom nie mehr so sicher stehen, wie es gestanden hatte.
Während die meisten Mitglieder des Reichstages nicht gezögert haben würden, Luther der Rache Roms zu übergeben, sahen und beklagten viele die in der Kirche bestehende Verderbtheit und wünschten eine Unterdrückung der Mißbräuche, welche das deutsche Volk infolge der Verkommenheit und der Gewinnsucht der Priesterherrschaft dulden mußte. Der Legat hatte die päpstliche Herrschaft im günstigsten Lichte dargestellt. Nun bewog der Herr ein Mitglied des Reichstages, die Wirkung der päpstlichen Gewaltherrschaft wahrheitsgetreu zu schildern. Mit edler Entschiedenheit erhob sich Herzog Georg von Sachsen in jener fürstlichen Versammlung und beschrieb mit unerbittlicher Genauigkeit die Betrügereien und Greuel des Papsttums und dessen schlimme Folgen. Zum Schluß sagte er: „Da ist keine Scham in Herausstreichung und Erhebung des Ablasses, man suchet nur, daß man viel Geld zusammenbringe; also geschieht, daß die Prediger, welche die Wahrheit lehren sollten, nichts als Lügen und Betrug den Leuten vorschwatzen. Das duldet man und diesen Leuten lohnet man, weil je mehr Geld in den Kasten kommt, je mehr die Leute beschwatzt werden. Aus diesem verderbten Brunnen fließt ein groß Ärgernis in die Bäche heraus,... plagen die Armen mit Bußen ihrer Sünden wegen, verschonen die Reichen, übergehen die Priester. ... Daher nötig ist eine allgemeine Reformation anzustellen, welche nicht füglicher als in einem allgemeinen Konzil zu erhalten ist; darum bitten wir alle solches mit höchstem Fleiß zu fördern.“ (Seckendorf , Commentarius, 1. Buch, 37. Absch.)
Luther selbst hätte die Mißbräuche Roms nicht klarer und eindrücklicher
vorführen können. Die Tatsache aber, daß der Redner ein entschlossener Feind
des Reformators war, verlieh seinen Worten desto mehr Einfluß.
Wären den Versammelten die Augen geöffnet worden, so würden sie Engel Gottes in ihrer Mitte erblickt haben, welche durch die Finsternis des Irrtums Strahlen des Lichts ergossen und Gemüter und Herzen für die Wahrheit empfänglich machten. Selbst die Gegner der Reformation wurden von der Macht des Gottes der Wahrheit und Weisheit beeinflußt, und auf diese Weise wurde der Weg für das große Werk, das nun vollbracht werden sollte, bereitet. Martin Luther war nicht zugegen; aber man hatte die Stimme eines Größeren als Luther in jener Versammlung gehört.
Sofort wurde von dem Reichstag ein Ausschuß bestimmt, um eine Liste der
päpstlichen Mißbräuche, die so schwer auf dem deutschen Volk lasteten,
aufzustellen. Dies Verzeichnis, welches 101 Beschwerden enthielt, wurde dem
Kaiser mit dem Gesuch unterbreitet, unmittelbare Schritte zur Beseitigung
dieser Mißbräuche tun zu wollen. „Es gehen so viele Seelen verloren,“ sagten
die Bittenden, „so viele Räubereien, Bestechungen finden statt, weil das
geistliche Oberhaupt der Christenheit sie gestattet. Es muß dem Untergang und der
Schande unseres Volkes vorgebeugt werden. Wir bitten euch untertänigst und
inständigst, dahin zu wirken, daß eine Besserung und gemeine Reformation
geschehe.“ (Kapp, Nachlese ref. Urkunden, Bd. 3, S. 275.)
Die Reichsstände drangen auf
das Erscheinen Luthers. Ungeachtet aller Bitten, Einwände und Drohungen
Aleanders willigte der Kaiser schließlich doch ein, und Luther wurde
aufgefordert, vor dem Reichstage zu erscheinen. Mit der Aufforderung wurden ihm
auch die nötigen Geleitbriefe ausgestellt, die ihm auch seine Rückkehr nach
einem sicheren Ort verbürgten. (Der Herzog Georg von Sachsen, der Kurfürst und auch der Kaiser stellten
Geleitbriefe aus. Siehe L., W., Erl. Bd. 3, S. 406. 409. 412.) Ein Herold, der beauftragt war, ihn sicher
nach Worms zu bringen, überbrachte die Briefe nach Wittenberg.
Freunde Luthers wurden von Schrecken und Bestürzung ergriffen. Sie kannten das Vorurteil und die gegen ihn herrschende Feindschaft und befürchteten, daß selbst das Sicherheitsgeleite nicht beachtet und sein Leben gefährdet werden möchte. Auf ihr Bitten, davon abzustehen, erwiderte er einem, die Römlinge wollten ihn nicht in Worms sehen, doch „ich schreibe auch jetzt und bitte dich, bete nicht für mich, sondern für das Wort Gottes. Jener Widersacher Christi setzt alle Kräfte ein, mich zu verderben. Der Wille Gottes geschehe! Christus wird mir seinen Geist geben, daß ich diese Widersacher des Satans verachte im Leben, besiege im Tode. ... Sie arbeiten, daß ich viele Artikel widerrufe; aber mein Widerruf wird also lauten: Ich habe früher gesagt, der Papst sei der Statthalter Christi, jetzt widerrufe ich und sage, der Papst ist der Widersacher Christi und der Apostel des Teufels.“ (L. W., St. L., Bd. 20a, S. 345; 24. März 1521.)
Luther sollte seine gefahrvolle Reise nicht allein machen. Außer dem
kaiserlichen Boten hatten sich drei seiner treuesten Freunde entschlossen, ihn
zu begleiten. Es verlangte Melanchthon herzlich, sich ihnen anzuschließen. Sein
Herz hing an Luther, und er sehnte sich, ihm zu folgen, wenn es sein müsse ins
Gefängnis oder in den Tod. Seine Bitten wurden jedoch abgeschlagen. Sollte
Luther umkommen, so ruhte die Hoffnung der Reformation allein auf seinem
jugendlichen Mitarbeiter.
Unterwegs nahmen sie wahr,
daß die Gemüter des Volkes von düsteren Vorahnungen beschwert waren. In einigen
Städten erwies man ihnen keine Ehrenbezeigung. Als sie übernachteten, gab ein
freundlich gesinnter Priester seinen Befürchtungen Ausdruck, indem er Luther
das Bild eines italienischen Reformators, der den Tod erlitten hatte, zeigte.
(Das Bild Savonarolas wurde ihm in Naumburg gezeigt.) Am andern Tage erfuhren
sie, daß seine Schriften zu Worms verdammt worden seien. Boten verkündigten des
Kaisers Erlaß und forderten jedermann auf, die geächteten Bücher den Behörden
auszuliefern. Der Herold, der um Luthers Sicherheit auf dem Reichstag bekümmert
war und befürchtete, sein Entschluß könnte dadurch erschüttert sein, fragte:
„Herr Doktor, wollt ihr fortziehen? Da antwortete ich: Ja, unangesehen daß man
mich hätte in Bann getan und das in allen Städten veröffentlicht, so wollt ich
doch fortziehen.“ (L. W.,
Erl. Bd. 64, S. 367.)
In Erfurt wurde Luther mit großen Ehren empfangen. Von der bewundernden
Menge umgeben, durchschritt er die Straßen, die er oft mit seinem Bettelsack
durchzogen hatte. Er besuchte seine Klosterzelle und gedachte der Kämpfe, durch
welche das nun über Deutschland strömende Licht auch über seine Seele sich
ergossen hatte. Man nötigte ihn zum Predigen. Zwar war ihm dies verboten, aber
der Herold gestattete es. Der Mönch, der einst im Kloster jedermanns Handlanger
gewesen war, bestieg jetzt die Kanzel.
Zu einem überfüllten Hause predigte er über die Worte Christi: „Friede sei
mit euch!“ und „zeigte ... ihnen die Hände und seine Seite.“ „Ihr wisset auch,
daß alle Philosophen, Doktoren und Scribenten sich beflissen zu lehren und
schreiben, wie sich der Mensch der Frömmigkeit halten soll, haben sich des sehr
bemüht, aber wie man sieht, wenig ausgerichtet.“ „Denn Gott, der hat
auserwählet einen Menschen, den Herrn Jesum Christ, daß der soll den Tod
zerknirschen, die Sünde zerstören und die Hölle zerbrechen,... also daß wir
durch seine Werke, die uns fremd sind, und nicht mit unsern Werken selig
werden. “ „Unser Herr Christus hat gesagt: Habt Frieden und sehet meine Hände.
Sieh, Mensch, ich bin der allein, der deine Sünde hat hinweg genommen, der dich
erlöste. Nun habe Frieden.“
„So soll ein jeglicher
Mensch sich besinnen und denken, daß wir uns nicht helfen können, sondern Gott,
auch daß unsere Werke gar gering sind: so haben wir den Frieden Gottes; und ein
jeglicher Mensch soll sein Werk also schicken, daß ihm nicht allein nutz sei,
sondern auch einem andern, seinem Nächsten. Ist er reich, so soll sein Gut den
Armen nutz sein; ist er arm, soll sein Verdienst den Reichen zu gut kommen...
dann wann du merkst, daß du deinen Nutzen allein schaffst, so ist dein Dienst
falsch.“ (Ebd., Bd. 16,
S. 251f.)
Das Volk lauschte seinen Worten wie gebannt. Das Brot des Lebens wurde jenen hungernden Seelen gebrochen. Christus wurde vor ihnen über Papst, Legat, Kaiser und König erhoben. Luther machte keine Andeutungen auf seine gefährliche Lage. Er suchte sich nicht zum Gegenstand der Gedanken oder des Mitgefühls zu machen. In der Betrachtung Christi hatte er sich selbst ganz aus den Augen verloren. Er verbarg sich hinter dem Schmerzensmann von Golgatha und trachtete nur danach, Jesum als den Erlöser des Sünders darzustellen.
Auf der Weiterreise betrachtete das Volk den Reformator mit der größten
Teilnahme. Eine neugierige Menge drängte sich überall um ihn, und
freundschaftliche Stimmen warnten ihn vor den Absichten der Römlinge. Einige
sagten: Man wird dich verbrennen wie den Hus. Luther antwortete: Und wenn sie gleich ein Feuer machten, das zwischen
Wittenberg und Worms bis an den Himmel reicht, weil es aber gefordert wäre, so
wollte er doch im Namen des Herrn erscheinen und dem Behemoth zwischen seine
großen Zähne treten und Christum bekennen und denselben walten lassen. (Ebd.,
Walch, Bd. 15, S. 2172. 2173.)
Die Kunde, daß Luther sich Worms nähere, rief große Aufregung hervor. Seine
Freunde zitterten für seine Sicherheit; seine Feinde fürchteten um den Erfolg
ihrer Sache. Ernste Anstrengungen wurden gemacht, ihm von seinem Eintritt in
die Stadt abzuraten. Auf Anstiften der Römlinge drang man in ihn, sich auf das
Schloß eines befreundeten Ritters zu begeben, wo nach ihrer Darstellung dann
alle Schwierigkeiten auf freundschaftlichem Wege beigelegt werden könnten.
Freunde bestrebten sich, ihm durch Vorhalten der ihm drohenden Gefahr Furcht
einzuflößen. Alle Bemühungen blieben nutzlos. Luther wankte nicht, sondern
schrieb: Er wollte gen Worms, wenngleich so viel Teufel drinnen wären, als
immer Ziegel auf ihren Dächern! (L. W., St. L., Bd. 15, S. 1828; April 1521.)
Bei seiner Ankunft in Worms
war die Zahl derer, welche sich den Toren zudrängten, ihn zu bewillkommnen,
sogar noch größer als beim Einzug des Kaisers. Es herrschte eine ungeheure
Erregung, und aus der Mitte der Volksmenge sang eine
durchdringende, klagende Stimme ein Grablied, um Luther vor dem bevorstehenden
Schicksal zu warnen. „Gott wird mit mir sein,“ sprach er mutig beim Verlassen
des Wagens.
Die Anhänger des Papstes hatten nicht erwartet, daß Luther es doch noch
wagen würde, in Worms zu erscheinen, und seine Ankunft bestürzte sie aufs
äußerste. Der Kaiser rief sofort seine Räte zusammen, um das einzuschlagende
Verfahren zu erwägen. Einer der Bischöfe, ein fester Anhänger Roms, erklärte:
„Wir haben uns schon lange darüber beraten. Kaiserliche Majestät möge diesen
Mann beiseite tun und ihn umbringen lassen. Sigismund hat den Johann Hus ebenso
behandelt; einem Ketzer braucht man kein Geleit zugeben oder zu halten.’ Karl
verwarf diesen Vorschlag, man müsse halten, was man versprochen habe. Der
Reformator solle also vorgeladen werden.“ D'Aubigné, 7. Buch, 8. Kap., S. 195,
Stuttgart, 1848. Siehe auch Ranke, Reformationsgesch., 1, S. 330f.)
Die ganze Stadt wollte diesen merkwürdigen Mann sehen, und bald füllte sich
seine Wohnung mit vielen Besuchern. Luther hatte sich kaum von seiner
kürzlichen Krankheit erholt; er war ermüdet von der Reise, die zwei volle
Wochen in Anspruch genommen hatte; er mußte sich auf die wichtigen Ereignisse
des morgenden Tages vorbereiten und bedurfte der Stille und der Ruhe. Das
Verlangen, ihn zu sehen, war jedoch so groß, daß er sich nur einiger Stunden
der Stille erfreut hatte, als Edelleute, Ritter, Priester und Bürger sich
begierig um ihn sammelten. Unter ihnen waren viele der Edelleute, welche von
dem Kaiser so kühn eine Reform der kirchlichen Mißbräuche verlangt hatten, und
die, wie sich Luther ausdrückte, „alle durch mein Evangelium frei geworden
waren.“ Feinde sowohl als Freunde kamen, um den unerschrockenen Mönch zu sehen,
aber er empfing sie mit unerschütterlicher Ruhe und antwortete allen mit Würde
und Weisheit. Seine Haltung war fest und mutig; sein bleiches, abgemagertes
Gesicht, welches Spuren von Mühe und Krankheit zeigte, trug einen freundlichen,
ja sogar freudigen Ausdruck. Die Feierlichkeit und der tiefe Ernst seiner Worte
verliehen ihm eine Macht., welcher selbst seine Feinde nicht gänzlich
widerstehen konnten. Freunde und Feinde waren voller Bewunderung. Einige waren
überzeugt, daß ein göttlicher Einfluß ihn begleite; andere erklärten wie die
Pharisäer hinsichtlich Christi: Er hat den Teufel.
Am folgenden Tage wurde Luther aufgefordert, vor dem Reichstag zu erscheinen. Ein kaiserlicher Beamter sollte ihn in den Empfangssaal führen; aber nur mit Mühe erreichte er den Ort. Jeder Zugang war angefüllt mit Beobachtern, die den Mönch sehen wollten, der es gewagt hatte, der Autorität des Papstes zu widerstehen.
Als Luther im Begriff war, vor seine Richter zu treten, sagte ein Feldherr,
der Held mancher Schlacht, zu ihm: „Mönchlein, Mönchlein, du gehst jetzt einen
Gang, einen Stand zu tun, dergleichen ich und mancher Oberster auch in unsern
aller ernstesten Schlachtordnungen nicht getan haben. Bist du auf rechter
Meinung und deiner Sache gewiß, so fahre in Gottes Namen fort und sei getrost,
Gott wird dich nicht verlassen.“ (Spangenberg, Adelsspiegel Ill,S.54.)
Endlich, stand Luther vor
dem Reichstag. Der Kaiser saß auf dem Thron. Er war von den erlauchtesten
Persönlichkeiten des Kaiserreichs umgeben. Nie zuvor war je ein Mensch vor
einer bedeutsameren Versammlung erschienen als jene war, vor welcher Martin
Luther seinen Glauben verantworten sollte. „Die Erscheinung selbst war ein
großer Sieg über das Papsttum. Der Papst hatte diesen Mann verurteilt, und dieser Mann stand jetzt vor
einem Gericht, welches sich dadurch über den Papst stellte. Der Papst hatte ihn
in den Bann getan, von aller menschlichen Gesellschaft ausgestoßen, und er war
in ehrenhaften Ausdrücken vorgeladen und erschien vor der höchsten Versammlung
der Welt. Der Papst hatte ihm den Mund verschlossen, und er sollte vor Tausenden
von Zuhörern aus den verschiedensten Landen der Christenheit reden. So hatte
Luther eine gewaltige Revolution durchgesetzt: Rom stieg schon von seinem Thron
herab, und das Wort eines Mönches gab die Veranlassung dazu.“ (D'Aubigné, 7.
Buch, 8. Abschn., S. 199, Stuttgart, 1848.)
Vor jener gewaltigen und hochadeligen Versammlung schien der in Niedrigkeit
geborene Reformator eingeschüchtert und verlegen. Mehrere der Fürsten, die
seine Gefühle bemerkten, näherten sich ihm, und einer von ihnen flüsterte: „Fürchtet
euch nicht vor denen, die den Leib töten und die Seele nicht mögen töten.“ Ein
anderer sagte: „Wenn ihr vor Fürsten und Könige geführt werdet um meinetwillen,
wird es euch durch den Geist eures Vaters gegeben werden, was ihr reden sollt.“
(Melanchthon, Leben Luthers, S. 53.) Auf diese Weise wurden Christi Worte von
den Großen dieser Erde gebraucht, um Gottes Diener in der Stunde der Prüfung zu
stärken.
Luther wurde ein Platz
unmittelbar vor dem kaiserlichen Thron angewiesen. Tiefes Schweigen herrschte
in der großen Versammlung. Dann erhob sich der vom Kaiser beauftragte Redner
und verlangte, indem er auf eine Sammlung von Luthers Schriften hinwies, daß
der Reformator zwei Fragen beantworte: ob er die hier vorliegenden
Bücher für die seinigen anerkenne oder nicht; und ob er die Ansichten, die er
darin vorgebracht hatte, widerrufe.
Nachdem die Titel der Bücher verlesen worden waren, erwiderte Luther, daß
er hinsichtlich der ersten Frage jene Bücher für die seinigen annehme und
nichts je davon ableugne. Aber was da folge, „weil dies eine Frage vom Glauben
und der Seelen Seligkeit sei und das göttliche Wort betreffe, was das höchste
sei im Himmel und auf Erden,... da wäre es vermessen und sehr gefährlich, etwas
Unbedachtes auszusprechen. Ich könnte ohne vorherige Überlegung leicht weniger
behaupten als die Sache erfordere, oder mehr als der Wahrheit gemäß wäre, und
durch das eine und andere jenem Urteile Christi verfallen: Wer mich aber
verleugnet vor den Menschen, den will ich auch verleugnen vor meinem himmlischen
Vater. (Matth. 10, 33.) Deshalb bitte ich von Kaiserlicher Majestät aufs aller
untertänigste um Bedenkzeit, damit ich ohne Nachteil für das göttliche Wort und
ohne Gefahr für meine Seele dieser Frage genugtue.“ (L. W., Erl., Bd. 64, S.
377f; lat. 37, 5-8.)
Indem Luther dieses Gesuch stellte, handelte er weislich. Sein Benehmen überzeugte die Versammlung, daß er nicht aus Leidenschaft oder bloßem Antrieb handle. Solche Ruhe und Selbstbeherrschung, wie man sie von einem, der sich so kühn und unnachgiebig gezeigt hatte, nicht erwartet hätte, erhöhten Luthers Macht und befähigten ihn nachher, mit einer Vorsicht, Entschiedenheit, Weisheit und Würde zu antworten, daß seine Gegner überrascht und enttäuscht und ihre Anmaßung und ihr Stolz beschämt wurden.
Am nächsten Tage sollte er erscheinen, um seine endgültige Antwort zu
geben. Als er die gegen die Wahrheit verbündeten Mächte betrachtete, entfiel
ihm für den Augenblick der Mut. Sein Glaube schwankte, Furcht und Zittern
ergriffen ihn und Grauen überkam ihn. Die Gefahren vervielfältigten sich vor
ihm, seine Feinde schienen im Begriff zu siegen und die Mächte der Finsternis
die Oberhand zu gewinnen. Wolken sammelten sich um ihn und drohten, ihn von
Gott zu trennen. Er sehnte sich nach der Gewißheit, daß der Herr der
Heerscharen mit ihm sei. In seiner Seelennot warf er sich mit dem Angesicht auf
die Erde und stieß jene gebrochenen, herzzerreißenden Angstrufe aus, die Gott
allein völlig versteht.
Er betete: „Allmächtiger,
ewiger Gott! Wie ist es nur ein Ding um die Welt! Wie sperrt sie den Leuten die
Mäuler auf! Wie klein und gering ist das Vertrauen der Menschen auf Gott! ...
und siehet nur allein bloß an, was prächtig und gewaltig, groß und mächtig ist
und ein Ansehen hat. Wenn ich auch meine Augen dahin wenden soll, so ist's mit
mir aus, die Glocke ist schon gegossen und das Urteil gefällt. Ach Gott! o du
mein Gott, stehe du mir bei wider alle Welt, Vernunft -und Weisheit. Tue du es;
du mußt es tun, du allein. Ist es doch nicht meine, sondern deine Sache. Habe ich
doch für meine Person hier nichts zu schaffen und mit diesen großen Herren der
Welt zu tun. ... Aber dein ist die Sache, Herr, die gerecht und ewig ist. Stehe
mir bei, du treuer, ewiger Gott! Ich verlasse mich auf keinen Menschen. Es ist
umsonst und vergebens, es hinket alles, was fleischlich ist. ... Hast du mich
dazu erwählt? Ich frage dich; wie ich es denn gewiß weiß; Ei, so walt es Gott;
... steh mir bei in dem Namen deines lieben Sohnes Jesu Christi, der mein
Schutz und Schirm sein soll, ja meine feste Burg.“ (Ebd., Bd. 64, S. 289f.)
Eine allweise Vorsehung hatte Luther gestattet, seine Gefahr zu erkennen,
damit er nicht auf seine eigene Kraft baue und sich vermessen in Gefahr stürze.
Es war jedoch nicht die Furcht vor dem eigenen Leiden, nicht die Angst vor der
scheinbar direkt vor ihm stehenden Qual oder dem Tod, welche ihn mit ihrem
Schrecken überwältigten; er hatte einen entscheidenden Zeitpunkt erreicht und
fühlte seine Untüchtigkeit, darin zu bestehen. Die Sache der Wahrheit könnte
infolge seiner Schwäche Verlust erleiden. Er rang mit Gott, nicht um seine
eigene Sicherheit, sondern um des Sieges des Evangeliums willen. Die Angst und das Ringen seiner Seele glich
jenem nächtlichen Kampf Israels am einsamen Bach; wie jener trug auch er den
Sieg davon. In seiner gänzlichen Hilflosigkeit klammerte sich sein Glaube an
Christum, den mächtigen Befreier. Er wurde durch die Versicherung gestärkt, daß
er nicht allein vor dem Reichstag erscheinen sollte; Friede zog wiederum in
seine Seele ein, und er freute sich, daß es ihm vergönnt war, das Wort Gottes
vor den Herrschern des Volkes empor zuhalten.
Mit festem Gottvertrauen
bereitete sich Luther auf den ihm bevorstehenden Kampf vor. Er plante seine
Antwort, prüfte etliche Stellen seiner eigenen Schriften und suchte in der
Bibel passende Belege zur Unterstützung seiner Behauptungen. Dann gelobte er, seine Linke auf das
offen vor ihm liegende heilige Buch legend und seine Rechte zum Himmel
erhebend, „dem Evangelium treu zu bleiben und seinen Glauben frei zu bekennen,
sollte er ihn auch mit seinem Blute besiegeln.“ (D'Aubigné, Reformationsgesch.,
Buch 7,S.8.)
Als er wieder vor den Reichstag geführt wurde, trug sein Angesicht keine Spur von Furcht oder Verlegenheit. Ruhig und friedlich, dennoch mutig und edel stand er als Gottes Zeuge unter den Großen der Erde. Der kaiserliche Beamte verlangte nun seinen Entscheid, ob er gewillt sei, seine Lehren zu widerrufen. Luther gab die Antwort in einem unterwürfigen und bescheidenen Ton, ohne Heftigkeit oder Erregung. Sein Benehmen war demütig und ehrerbietig; dennoch offenbarte er eine Zuversicht und eine Freudigkeit, welche die Versammlung überraschte.
Seine Antwort lautete.
„Allerdurchlauchtigster, großmächtigster Kaiser, durchlauchtigste Fürsten,
gnädigste und gnädige Herren! Auf die Bedenkzeit, mir auf gestrigen Abend
ernannt, erscheine ich gehorsam und bitte durch die Barmherzigkeit Gottes eure
Kais. Maj. und Gnaden, daß sie wollen, wie ich hoffe, diese Sachen der
Gerechtigkeit und Wahrheit gnädiglich zuhören, und so ich von wegen meiner
Unerfahrenheit ... wider die höflichen Sitten handle, mir solches zu verzeihen
als einen, der nicht an fürstlichen Höfen erzogen, sondern in Mönchswinkeln
aufkommen.“ (Luthers
Werke, Erl., Bd. 64, S. 378.)
Indem er dann zur Frage überging, erklärte
er, daß seine Bücher nicht einerlei Art seien. Einige behandelten den Glauben
und die guten Werke, daß auch seine Widersacher sie für nützlich und
unschädlich anerkennen müßten. Diese zu widerrufen wäre ein Verdammen der
Wahrheiten, welche alle Freunde und Feinde zugleich bekennen. Die zweite Art
bestehe aus Büchern, welche die Verderbtheiten und Übeltaten des Papsttums
darlegten. Diese Werke zu widerrufen, würde die Gewaltherrschaft Roms nur
stärken und würde die Tür für viele und große Gottlosigkeiten noch weiter
öffnen. In der dritten Art seiner Bücher habe er einzelne Personen angegriffen,
welche bestehende Übelstände verteidigt hätten. Betreffs dieser bekenne er,
heftiger gewesen zu sein, als es sich gezieme. Er beanspruche keineswegs fehlerfrei
zu sein. Aber auch diese Bücher könne er nicht widerrufen, denn auf diese Weise
würden die Feinde der Wahrheit nur noch kühner werden, und sie würden
Gelegenheit nehmen, das Volk Gottes mit noch größerer Grausamkeit zu bedrücken.
„Dieweil aber ich ein Mensch und nicht Gott bin, so mag ich meine Büchlein
anders nicht verteidigen, denn mein Herr Jesus Christus seine Lehre unterstützt
hat: Habe ich übel geredet, so gib Zeugnis vom Übel.“ (Joh. 18, 23.) „Derhalben
bitte ich durch die Barmherzigkeit Gottes Eure Kaiserliche Majestät und Gnaden
oder aber alle anderen Höchsten und Niedrigen mögen mir Zeugnis geben, mich
Irrtums überführen, mich mit prophetischen und evangelischen Schriften
überwinden. Ich will auf das Allerwilligste bereit sein, so ich dessen überwiesen
werde, alle Irrtümer zu widerrufen und der Allererste sein, meine Bücher in das
Feuer zu werfen; aus welchem allen ist, meine ich, offenbar, daß ich genügsam
bedacht, erwogen und ermessen habe die Gefahr, Zwietracht, Aufruhr und
Empörung, so wegen meiner Lehre in der Welt erwachsen ist. ... Wahrlich mir ist
das Liebste zu hören, daß wegen des göttlichen Wortes sich Mißhelligkeit und
Uneinigkeit erheben; denn das ist der Lauf, Fall und Ausgang des göttlichen
Wortes, wie der Herr selbst sagt: Ich bin nicht gekommen, Frieden zu senden,
sondern das Schwert. (Matth. 10, 34.) ... Darum müssen wir bedenken, wie
wunderbar und schrecklich unser Gott ist in seinen Gerichten, auf daß nicht
das, was jetzt unternommen wird, um die Uneinigkeit beizulegen, hernach, so wir
den Anfang dazu mit Verdammung des göttlichen Wortes machen, vielmehr zu einer
Sintflut unerträglicher Übel ausschlage; bedenken müssen wir und fürsorgen, daß
nicht diesen jungen, edlen Kaiser Karl, von welchem nächst Gott vieles zu
hoffen ist, ein unseliger Eingang und ein unglücklich Regiment zuteil werde. Ich könnte dafür reichliche Exempel bringen
aus der Heiligen Schrift, von Pharao, vom König zu Babel und von den Königen
Israels, welche gerade dann am meisten Verderben sich bereit haben, wenn sie
mit den klügsten Reden und Anschlägen ihr Reich zu befrieden und zu befestigen
gedachten. Denn der Herr ist's, der die Klugen erhaschet in ihrer Klugheit und
die Berge umkehrt, ehe sie es innewerden; darum tut's not, Gott zu fürchten.“ (L.
W., Erl., Bd. 64, S. 370. 379-382; lat. Bd. 37, S. 11-13.)
Luther hatte in deutscher Sprache geredet; er wurde nun ersucht, dieselben Worte in lateinischer Sprache zu wiederholen. Wiewohl er durch die frühere Anstrengung erschöpft war, willfahrte er doch der Bitte und trug dieselbe Rede ebenso deutlich und tatkräftig noch einmal vor, so daß ihn alle verstehen konnten. Gottes Vorsehung waltete in dieser Sache. Viele Fürsten waren durch Irrtum und Aberglauben so verblendet, daß sie bei Luthers erster Anrede die Wichtigkeit seiner Gründe nicht klar erfassen konnten; diese Wiederholung aber setzte sie in den Stand, die vorgeführten Punkte nun deutlich zu sehen.
Die, welche ihre Herzen dem
Lichte hartnäckig verschlossen und sich geflissentlich nicht von der Wahrheit
überzeugen lassen wollten, wurden durch die Macht seiner Worte in Wut versetzt. Als er aufhörte zu reden, mahnte der
Redner des Reichs im strafenden Ton, Luther hätte nicht zur Sache geantwortet,
und es gebühre sich nicht, hier Verdammungsurteile und Feststellungen von
Konzilien in Frage zu ziehen. Luther solle eine schlichte und klare Antwort,
geben, ob er widerrufen wolle oder nicht.
Darauf erwiderte der Reformator: „Weil denn Ew. Majestät und die
Herrschaften eine einfache Antwort begehren, so will ich eine geben, die weder
Hörner noch Zähne hat, dermaßen: wenn ich nicht durch Schriftzeugnisse oder
helle Gründe werde überwunden werden, (denn ich glaube weder dem Papst noch den
Konzilien allein, weil feststeht, daß sie öfter geirrt und sich selbst
widersprochen haben), so bin ich überwunden durch die von mir angeführten
Schriften und mein Gewissen gefangen in Gottes Worten; widerrufen kann ich
nichts und will ich nichts, weil wider das Gewissen zu handeln beschwerlich,
unsicher und nicht lauter ist.“ (L. W., Erl., Bd. 64, S. 382.) „Hier stehe ich,
ich kann nicht anders, Gott helf mir. Armen.“ (Ebd., lat., Bd. 37, S. 13.)
Also stand dieser gerechte Mann auf dem sicheren Grunde des göttlichen Wortes. Des Himmels Licht erleuchtete sein Angesicht. Die Größe und Reinheit seines Charakters sowie auch der Friede und die Freude seines Herzens offenbarten sich allen, als er die Macht des Irrtums bloßstellte und die Hoheit jenes Glaubens, der die Welt überwindet, bezeugte.
Die Versammlung staunte über diese kühne Verteidigung. Seine erste Antwort
hatte Luther mit gedämpfter Stimme in achtungsvoller, beinahe unterwürfiger
Haltung gesprochen. Die Römlinge hatten dies als einen Beweis gedeutet, daß
sein Mut zu wanken angefangen habe. Sie betrachteten sein Gesuch um Bedenkzeit
nur als einen Vorläufer seiner Widerrufung. Sogar Kaiser Karl, der halb
verächtlich die gebeugte Gestalt des Mönches, sein schlichtes Gewand und die
Einfachheit seiner Ansprache wahrnahm, hatte erklärt: „Der soll mich nicht zum
Ketzer machen.“ Der Mut aber und die Festigkeit, welche Luther nun an den Tag
legte, sowohl als auch die Macht und Klarheit seiner Beweisführung,
überraschten alle Parteien. Viele deutsche Fürsten blickten mit Stolz und
Freude auf diesen Vertreter ihrer Nation.
Die Anhänger Roms waren geschlagen worden, und ihre Sache erschien in einem sehr ungünstigen Licht. Sie suchten nicht etwa dadurch ihre Macht aufrechtzuerhalten, daß sie sich auf die Heilige Schrift beriefen, sondern sie nahmen ihre Zuflucht zu Roms stets benutztem Beweismittel, nämlich zur Drohung. Der Redner des Reiches sagte: „Würde er keinen Widerspruch tun, so würden K. Maj. samt den Fürsten und Ständen des Reiches ratschlagen, wie sie gegen einen solchen Ketzer verfahren sollten.“
Luthers Freunde hatten seiner
edlen Verteidigungsrede mit großer Freude gelauscht, doch diese Worte machten
sie für seine Sicherheit zittern. Luther selbst aber sagte gelassen: „So helf
mir Gott, denn einen Widerruf kann ich nicht tun.“ (L. W., Walch, B. 15, S. 2234. 2235.)
Luther trat aus dem Reichstage ab, damit die Fürsten sich beraten konnten. Man fühlte, daß man vor einem großen Wendepunkt stand. Luthers beharrliche Weigerung, sich zu unterwerfen, könnte die Geschichte der Kirche auf Jahrhunderte hinaus beeinflussen. Es wurde beschlossen, ihm eine weitere Gelegenheit zum Widerruf zu geben. Zum letzten Male wurde er in die Versammlung gebracht. Der Redner des Reichs fragte ihn nochmals im Namen des Kaisers, ob er nicht einen bestimmten Widerruf leisten wolle. Darauf erwiderte er: „Ich weiß keine andere Antwort zu geben wie die bereits vorgebrachte, er könne nicht widerrufen, er wäre denn aus Gottes Wort eines besseren überwiesen.“ (L. A. Bd. 17, S. 580.) Es war offenbar, daß weder Versprechungen noch Drohungen ihn zur Nachgiebigkeit gegen Roms Befehle bewegen konnten.
Die Vertreter Roms ärgerten sich, daß ihre Macht, vor welcher Könige und
Adelige gezittert hatten, auf diese Weise von einem bescheidenen Mönch
geringgeschätzt werden sollte; sie sehnten sich danach, ihn ihren Zorn fühlen
zu lassen, indem sie ihn zu Tode marterten. Aber Luther, der seine Gefahr
begriff, hatte zu allen mit christlicher Würde und Gelassenheit gesprochen.
Seine Worte waren frei von Stolz, Leidenschaft und Verdrehung gewesen. Er hatte
sich selbst und die großen Männer, die ihn umgaben, aus den Augen verloren und
fühlte nur, daß er in der Gegenwart dessen war, der unendlich erhaben über
Päpste, Prälaten, Könige und Kaiser ist. Christus hatte durch Luthers Zeugnis
mit einer Macht und Größe gesprochen, die zur Zeit sowohl Freunden als Feinden
Ehrfurcht und Erstaunen einflößten. Der Geist Gottes war in jener Versammlung
gegenwärtig gewesen und hatte die Herzen der Großen des Kaiserreichs ergriffen.
Mehrere Fürsten anerkannten offen die Gerechtigkeit der Sache Luthers. Viele
waren von der Wahrheit überzeugt; bei einigen aber dauerten die Eindrücke nicht
an. Andere drückten zur Zeit ihre Überzeugung nicht aus, wurden aber später,
nachdem sie die Heilige Schrift für sich selbst durchforscht hatten, kühne
Vertreter der Reformation.
Der Kurfürst Friedrich hatte mit großer Besorgnis dem Erscheinen Luthers
vor dem Reichstag entgegengesehen und hörte jetzt mit tiefer Bewegung seiner
Rede zu. Mit Stolz und Freude sah er den Mut, die Entschiedenheit und die
Selbstbeherrschung des Doktors und nahm sich vor, ihn entschiedener als je zu
verteidigen. Er verglich die streitenden Parteien und erkannte, daß die
Weisheit der Päpste, der Könige und der Prälaten durch die Macht der Wahrheit
zunichte gemacht worden war. Das Papsttum hatte eine Niederlage erlitten,
welche unter allen Nationen und zu allen Zeiten gefühlt werden sollte.
Als der Legat die Wirkung von Luthers Rede wahrnahm, fürchtete er wie nie zuvor für die Sicherheit der römischen Macht und entschloß sich, alle ihm zu Gebote stehenden Mittel anzuwenden, um den Untergang des Reformators zu bewirken. Mit all der Beredsamkeit und dem staatsklugen Geschick, worin er sich in einem so hohen Grade auszeichnete, stellte er dem jugendlichen Kaiser die Torheit und die Gefahr dar, eines unbedeutenden Mönches wegen die Freundschaft und die Hilfe des mächtigen Stuhles in Rom zu opfern.
Seine Worte blieben nicht wirkungslos. Schon am nächsten Tage ließ der
Kaiser Karl den Reichsständen seinen Beschluß melden, daß er nach der Weise
seiner Vorfahren fest entschlossen sei, ihren Glauben zu unterstützen und zu
beschützen. Da Luther sich geweigert hatte, seinen Irrtümern zu entsagen,
sollten die strengsten Maßregeln gegen ihn und die Ketzereien, die er lehrte,
angewendet werden. „Es sei offenkundig, daß ein durch seine eigene Torheit
verleiteter Mönch der Lehre der ganzen Christenheit widerstreite, ... so bin
ich fest entschlossen, alle meine Königreiche, das Kaisertum, Herrschaften,
Freunde, Leib, Blut und das Leben und mich selbst daran zu setzen, daß dies
gottlose Vornehmen nicht weiter um sich greife. ... Gebiete demnach, daß er
sogleich nach der Vorschrift des Befehls wieder heimgebracht werde und sich
laut des öffentliches Geleites in acht nehme, nirgends zu predigen, noch dem
Volk seine falschen Lehren weiter vorzutragen. Denn ich habe fest beschlossen,
wider ihn als einen offenbaren Ketzer zu verfahren. Und begehre daher von euch,
daß ihr in dieser Sache dasjenige beschließet, was rechten Christen gebührt und
wie ihr zu tun versprochen habt.“ (L. W., Walch, Bd. 15, S. 2236. 2237.) Der
Kaiser erklärte, daß Luther das sichere Geleit müsse gehalten werden, und ehe
Maßregeln gegen ihn getroffen werden könnten, müsse ihm gestattet sein, seine
Heimat in Sicherheit zu erreichen.
Wiederum machten sich zwei entgegengesetzte Meinungen der Reichsstände
geltend. Die Legaten und Vertreter des Papstes forderten von neuem, daß das
Sicherheitsgeleit Luthers nicht beachtet werden sollte und sagten: „Der Rhein
muß seine Asche in sich aufnehmen, wie die des Hus vor einem Jahrhundert.“
(D'Aubigné, 7. Buch, 9. Kap.) Doch deutsche Fürsten, wiewohl päpstlich gesinnt
und offene Feinde Luthers, erklärten sich gegen einen öffentlichen Treubruch
als einen Schandflecken für die Ehre der ganzen Nation. Sie wiesen auf das
schreckliche Unglück hin, welches auf den Tod des Hus folgte, und erklärten,
daß sie es nicht wagten, eine Wiederholung dieser fürchterlichen Schrecknisse
über Deutschland und auf das Haupt ihres jugendlichen Kaisers zu bringen.
Karl selbst erwiderte auf
den niederträchtigen Vorschlag: „Wenn Treue und Glauben nirgends mehr gelitten
würden, so sollten doch solche an den fürstlichen Höfen ihre Zuflucht finden.“
(Seckendorf, Commentarius, 1. Buch, 38. Abschn.) Die unerbittlichsten der
römischen Feinde Luthers drangen noch weiter auf den Kaiser ein, mit dem
Reformator zu verfahren, wie Sigismund Hus behandelt hatte und ihn der Gnade
der Kirche zu überlassen. Karl V. aber, der sich ins Gedächtnis zurückrief, wie
Hus in der öffentlichen Versammlung auf seine Ketten hingewiesen und den Kaiser
an seine verpfändete Treue erinnert hatte, erklärte entschlossen: „Ich will
nicht wie Sigismund erröten!“ (Lenfant, Historie du Concile de Constance, 1. Bd., 3. Buch, S. 404,
Amsterdam, 1727.)
Karl hatte jedoch mit Vorbedacht die von Luther verkündigten Wahrheiten verworfen. „Ich bin,“ schrieb der Herrscher, „fest entschlossen, in die Fußstapfen meiner Ahnen zu treten.“ (D'Aubigne, 7. Buch, 9. Kap.) Er hatte sich entschieden, nicht vom Pfade herkömmlichen Gebrauchs abzuweichen, selbst nicht um in den Wegen der Wahrheit und der Gerechtigkeit zu wandeln. Weil seine Väter es taten, wollte auch er das Papsttum mit all seiner Grausamkeit und Verderbtheit aufrechterhalten. Bei diesem Entscheid blieb er und weigerte sich, irgendwelches weitere Licht, als seine Väter erhalten hatten, anzunehmen oder irgendeine Pflicht auszuüben, die sie nicht erfüllt hatten.
Viele halten heute in gleicher Weise an den Gebräuchen und Überlieferungen
der Väter fest. Schickt der Herr ihnen weiteres Licht, so weigern sie sich, es
anzunehmen, weil ihre Väter, da es ihnen nicht gewährt ward, es auch nicht
angenommen hatten. Wir stehen nicht da, wo unsere Väter standen, infolgedessen
sind unsere Pflichten und Verantwortlichkeiten auch nicht dieselben. Gott wird
es nicht gutheißen, wenn wir auf das Beispiel unserer Väter blicken, anstatt
das Wort der Wahrheit für uns selbst zu untersuchen, um unsere Pflichten zu
erkennen. Unsere Verantwortlichkeit ist größer als die unserer Vorfahren. Wir
sind verantwortlich für das Licht, welches sie erhielten und uns als Erbgut
überkommen ist, und wir müssen auch Rechenschaft ablegen für das hinzukommende
Licht, welches jetzt aus dem Worte Gottes auf uns scheint.
Christus
sagte von den ungläubigen Juden: „Wenn ich nicht gekommen wäre und hätte es
ihnen gesagt, so hätten sie keine Sünde; nun aber können sie nichts vorwenden,
ihre Sünde zu entschuldigen.“ (Joh. 15, 22.) Dieselbe göttliche Macht hatte
durch Luther zu dem Kaiser und den Fürsten Deutschlands gesprochen. Und als das
Licht aus dem Worte Gottes strahlte, rechtete sein Geist mit vielen in jener
Versammlung zum letzten Male. Wie Pilatus Jahrhunderte zuvor dem Stolz und der
Volksgunst gestattete, dem Erlöser der Welt sein Herz zu verschließen; wie der
zitternde Felix den Boten der Wahrheit bat: „Gehe hin auf diesmal; wenn ich
gelegene Zeit habe, will ich dich herrufen lassen;“ (Apg. 24, 25.) Wie der stolze Agrippa bekannte: „Es fehlt
nicht viel, du überredest mich, daß ich ein Christ würde,“ (Apg. 26, 8.) und
sich doch von der vom Himmel gesandten Botschaft abwandte, so hatte Karl V., den Eingebungen des
weltlichen Stolzes und der Staatsklugheit folgend, sich entschieden, das Licht
der Wahrheit zu verwerfen.
Gerüchte über die Absichten gegen Luther wurden weithin verbreitet und
verursachten große Aufregung in der ganzen Stadt. Der Reformator hatte sich
viele Freunde erworben, welche, da sie die verräterische Grausamkeit Roms gegen
alle kannten, die es wagten, seine Verkommenheit bloßzustellen, beschlossen,
daß er nicht geopfert werden solle. Hunderte von Edelleuten verpflichteten
sich, ihn zu beschützen. Nicht wenige rügten die kaiserliche Botschaft
öffentlich als einen Beweis der Schwäche, sich der Macht Roms unterzuordnen. An
Haustüren und auf öffentlichen Plätzen wurden Plakate angebracht, von denen
einige Luther verurteilten und andere ihn unterstützen. Auf einem von ihnen
waren nur die bedeutsamen Worte des weisen Mannes geschrieben: „Wehe dir Land,
dessen König ein Kind ist.“ (Pred. 10, 16.) Die Begeisterung des Volkes für
Luther, welche in ganz Deutschland herrschte, überzeugte sowohl den Kaiser als
auch den Reichstag, daß irgendwelches ihm zugefügte Leid den Frieden des
Reiches und selbst die Sicherheit des Thrones gefährden würde.
Friedrich von Sachsen verhielt sich in wohlweislicher Zurückhaltung und
verbarg sorgfältig seine wirklichen Gefühle gegen den Reformator, während er
ihn gleichzeitig mit unermüdlicher Wachsamkeit beschützte und sowohl seine als
auch die Bewegungen seiner Feinde überwachte. Viele jedoch sprachen offen ihre Teilnahme für Luther aus. Er wurde
besucht von vielen Fürsten, Grafen, Baronen und anderen einflußreichen Personen
von weltlicher und kirchlicher Seite. „Das kleine Zimmer des Doktors,“ schrieb
Spalatin, „konnte die vielen Besucher, die sich vorstellten, nicht fassen.“ (L.
W., Erl., lt., Bd. 37, S. 15. 16.) Selbst solche, die seine Lehren nicht
glaubten, mußten doch jenen Seelenadel bewundern, der ihn antrieb, eher sein
Leben in den Tod zu geben als sein Gewissen zu verletzen.
Doch wurden noch weitere ernstliche Anstrengungen gemacht, um Luther zu
einem Ausgleich mit Rom zu bewegen. Besondere kleine Ausschüsse, aus Fürsten,
Prälaten und Gelehrten bestehend, bemühten sich weiter um ihn, und sein
Geleitbrief wurde gegen den Wunsch des Legaten um fünf Tage verlängert. Sie
stellten ihm vor, daß wenn er hartnäckig auf seiner Meinung bestände, sein
eigenes Urteil gegen das der Kirche und Konzilien aufrechtzuerhalten, der
Kaiser ihn aus dem Reich vertreiben und in ganz Deutschland keine Zuflucht
lassen würde. Luther antwortete auf diese ernste Vorstellung: „Ich weigere mich
nicht, Leib, Leben und Blut dahin zugeben, nur will ich nicht gezwungen werden,
Gottes Wort zu widerrufen, in dessen Verteidigung man Gott mehr als den
Menschen gehorchen muß. Auch kann ich nicht das Ärgernis des Glaubens verhüten,
sintemal Christus ein Stein des Ärgernisses ist.“ (Ebd., S. 18.)
Wiederum drang man auf ihn ein, seine Bücher dem Urteil des Kaisers und des
Reiches ohne Furcht zu unterwerfen. Luther erwiderte: „Ich habe nichts dawider,
daß der Kaiser oder die Fürsten oder der geringste Christ meine Bücher prüfen,
aber nur nach dem Worte Gottes. Die Menschen dürfen diesem allein gehorchen.
Mein Gewissen ist mit Gottes Wort und Heiliger Schrift gebunden.“ (D'Aubigné,
7. Buch, 7. Kap., S. 221. 224, Stuttgart 1848.)
Auf einen andern Versuch, ihn zu überreden, gab er zur Antwort: „Ich will
eher das Geleit aufgeben, meine Person und mein Leben dem Kaiser preisgeben,
aber niemals Gottes Wort. “ (s. vorige Anm.) Er erklärte sich bereit, sich dem
Entscheid eines allgemeinen Konzils zu unterwerfen, aber nur unter der
Bedingung, daß es nach der Schrift zu entscheiden sich gezwungen halte. „Was
das Wort Gottes und den Glauben anbelangt,“ fügte er hinzu, „so kann jeder
Christ ebensogut urteilen wie der Papst es für ihn tun könnte, sollten ihn auch
eine Million Konzilien unterstützen. “ (Luthers Werke, Halle, 2. Bd., S. 107.)
Sowohl Freunde als Gegner wurden schließlich überzeugt, daß weitere
Versöhnungsversuche nutzlos waren.
Hätte der Reformator nur in
einem einzigen Punkt nachgegeben, so würden die Mächte der Finsternis den Sieg
davongetragen haben. Aber sein felsenfestes Ausharren beim Worte Gottes war das
Mittel zur Befreiung der Gemeinde und der Anfang eines neuen und besseren
Zeitalters. Indem Luther in Sachen der Religion für sich selbst
zu denken und zu handeln wagte, übte er nicht nur eine Wirkung auf Kirche und
Weh in seinen eigenen Tagen aus, sondern auch in allen künftigen Zeitaltern.
Seine Standhaftigkeit und Treue sollten bis zum Ende der Tage alle stärken,
welche ähnliche Erfahrungen zu bestehen haben. Gottes Macht und Majestät
standen erhaben über dem Rat der Menschen und über der gewaltigen Macht des
Bösen.
Bald darauf erging an Luther der kaiserliche Befehl, nach seiner Heimat zurückzukehren, und er wußte, daß dieser Weisung bald auch seine Verurteilung folgen würde. Drohende Wolken hingen über seinem Pfad. Doch als er Worms verließ, erfüllten Freude und Preis sein Herz. „Der Teufel hat auch wohl verwahret des Papstes Regiment und wollte es verteidigen; aber Christus machte ein Loch darein.“ (L. W., Leipz., Bd. 17, S. 589.)
Auf seiner Heimreise schrieb Luther, der noch immer von dem Wunsche beseelt
war, daß seine Festigkeit nicht als Empörung mißdeutet werden möchte, an den
Kaiser: „Gott, der ein Herzenskündiger ist, ist mein Zeuge, daß ich in aller
Untertänigkeit E. K. Maj. Gehorsam zu leisten ganz willig und bereit bin, es
sei durch Leben oder Tod, durch Ehre, durch Schande, Gut oder Schaden. Ich habe
auch nichts vorgehalten als allein das göttliche Wort, in welchem der Mensch
nicht allein lebt, sondern wonach es auch den Engeln gelüstet zu schauen.“ „In
zeitlichen Sachen sind wir schuldig, einander zu vertrauen, weil derselben
Dinge Unterwerfung, Gefahr und Verlust, der Seligkeit keinen Schaden tut. Aber
in Gottes Sache und ewigen Gütern leidet Gott solche Gefahr nicht, daß der
Mensch dem Menschen solches unterwerfe.“ „Solcher Glaube und Unterwerfung ist
das wahre rechte Anbeten und der eigentliche Gottesdienst.“ (Ebd., Erl., Bd. 3,
S. 129-141, 28. April 1521.)
Auf der Rückreise von Worms
war Luthers Empfang sogar noch großartiger als auf der Hinreise. Hochstehende
Geistliche bewillkommten den mit dem Bann belegten Mönch, und weltliche
Obrigkeiten ehrten den von dem Kaiser geächteten Mann. Er wurde zur Predigt
gedrungen und betrat auch trotz dem kaiserlichen Verbote die Kanzel. Selbst
hatte er kein Bedenken; „denn er hatte nicht darein gewilligt, daß Gottes Wort
gebunden werde.“ (L. W.,
St. L., Bd. 15, S. 2512; 14. Mai 1521.)
Die Legaten des Papstes erpreßten bald nach seiner Abreise vom Kaiser die
Erklärung der Reichsacht. (Ebd., Erl., Bd. 24, S. 215f., 224.) Darin wurde
Luther „nicht als ein Mensch, sondern als der böse Feind in Gestalt eines Menschen
mit angenommener Mönchskutte“ (D'Aubigné, 7. Buch, 11. Kap., S. 232, Stuttgart,
1848.) gebrandmarkt. Es wurde befohlen, daß nach Ablauf seines
Sicherheitsgeleites Maßregeln gegen ihn ergriffen werden sollten, um sein Werk
aufzuhalten. Es war jedermann verboten, ihn zu beherbergen, ihm Speise oder
Trank anzubieten, noch durch Wort oder Tat öffentlich oder geheim ihm zu helfen
oder ihn zu unterstützen. Er sollte, ganz gleich wo er sei, ergriffen und der
Obrigkeit ausgeliefert werden. Seine Anhänger sollten ebenfalls gefangengesetzt
und ihr Eigentum beschlagnahmt werden. Seine Schriften sollten vernichtet und
schließlich alle, die es wagen würden, diesem Erlasse entgegenzuhandeln, in
seine Verurteilung eingeschlossen werden. Der Kurfürst von Sachsen und die
Fürsten, welche Luther am günstigsten waren, hatten Worms bald nach seiner
Abreise verlassen, und der Reichstag hatte zu dem Erlaß des Kaisers seine
Genehmigung gegeben. Jetzt frohlockten die Römlinge und betrachteten das
Schicksal der Reformation als besiegelt.
Gott hatte für seinen Diener in dieser Stunde der Gefahr einen Weg des
Entrinnens vorgesehen. Ein wachsames Auge war Luthers Bewegungen gefolgt, und
ein treues und edles Herz hatte sich zu seiner Befreiung entschlossen. Es war klar,
daß Rom sich mit nichts Geringerem als mit seinem Tode begnügen würde; nur
durch Geheimhaltung konnte er vor dem Rachen des Löwen bewahrt werden. Gott gab
Friedrich von Sachsen Weisheit, einen Plan zu entwerfen, den Reformator zu
erhalten. Unter der Mitwirkung treuer Freunde wurde des Kurfürsten Absicht
ausgeführt und Luther erfolgreich vor Freunden und Feinden verborgen. Auf seiner Heimreise wurde er ergriffen,
von seinen Begleitern getrennt und in aller Eile durch die Wälder nach dem
Schloß Wartburg, einer einsamen Burgfeste, befördert. Sowohl seine
Gefangennahme als auch seine Verbergung geschahen so geheimnisvoll, daß selbst
Friedrich lange nicht wußte, wohin Luther geführt worden war. Diese Unkenntnis
war plangemäß, denn solange der Kurfürst nichts von Luthers Aufenthalt wußte,
konnte er keine Auskunft geben. Er vergewisserte sich, daß der Reformator in
Sicherheit war, und mit dieser Kenntnis gab er sich zufrieden.
Frühling, Sommer und Herbst gingen vorbei, der Winter kam und Luther blieb
noch immer ein Gefangener. Aleander und seine Anhänger frohlockten, daß das
Licht des Evangeliums dem Auslöschen nahe schien. Statt dessen aber füllte der
Reformator seine Lampe aus dem Vorratshause der Wahrheit, damit ihr Licht in
einem um so helleren Glanze leuchte.
In der freundlichen Sicherheit der Wartburg erfreute sich Luther eine
Zeitlang seiner Befreiung von der Hitze und dem Getümmel des Kampfes. Aber in
der Ruhe und Stille konnte er nicht lange Befriedigung finden. An ein Leben der
Tätigkeit und des harten Kampfes gewöhnt, konnte er es schwer ertragen, untätig
zu sein. In jenen einsamen Tagen trat der Zustand der Kirche vor seine Augen,
und er rief in seiner Not: „Aber es ist niemand, der sich aufmache und zu Gott
halte oder sich zur Mauer stelle für das Haus Israel an diesem letzten Tage des
Zorns Gottes!“ (L. W., St - L., B d. 15, S. 2514; 12. Mai 1521 an Melanchthon.)
Wiederum richteten sich seine Gedanken auf sich selbst, und er befürchtete, daß
er durch seinen Rückzug vom Kampfe der Feigheit beschuldigt würde. Dann machte
er sich Vorwürfe wegen seiner Sorglosigkeit und Selbstbefriedigung. Und doch vollbrachte er zu derselben Zeit
täglich mehr, als für einen Mann zu tun möglich schien. Seine Feder war nie
müßig. Während seine Feinde sich schmeichelten, ihn zum Schweigen gebracht zu
haben, wurden sie erstaunt und verwirrt durch handgreifliche Beweise, daß er
noch immer tätig war. Ein Heer von Abhandlungen, die aus seiner Feder flossen,
machten die Runde durch ganz Deutschland. Auch leistete er seinen Landsleuten
einen höchst wichtigen Dienst, indem er das Neue Testament in die deutsche
Sprache übersetzte. Von seinem felsigen Patmos aus fuhr er beinahe ein ganzes
Jahr lang fort, das Evangelium zu verkündigen und die Sünden und Irrtümer der
Zeit zu rügen.
Es geschah aber nicht nur, um Luther vor dem Zorn seiner Feinde zu bewahren
oder um ihm für diese wichtigen Arbeiten eine Zeit der Ruhe zu verschaffen, daß
Gott seinen Diener dem Schauplatze des öffentlichen Lebens entrückt hatte.
Köstlichere Erfolge als diese sollten erzielt werden. In der Einsamkeit und
Verborgenheit seiner bergigen Zufluchtsstätte war Luther allen irdischen
Stützen fern und abgeschlossen von menschlichem Lob. Somit war er vor dem Stolz
und dem Selbstvertrauen bewahrt, welche so oft durch den Erfolg verursacht
werden. Durch Leiden und Demütigung wurde er vorbereitet, wiederum mit
Sicherheit die schwindelnden Höhen zu betreten, wozu er so plötzlich erhoben
worden war.
Wenn Menschen sich der Freiheit, welche die Wahrheit ihnen bringt, erfreuen, so sind sie geneigt, die zu verherrlichen, welche Gott gebraucht, um die Ketten des Irrtums und des Aberglaubens zu brechen. Satan versucht, der Menschen Gedanken und Zuneigungen von Gott abzuwenden und sie auf menschliche Werkzeuge zu richten. Er veranlaßt sie, das bloße Werkzeug zu ehren und die Hand, welche alle Ereignisse der Vorsehung leitet, unbeachtet zu lassen. Nur zu oft verlieren religiöse Leiter, welche auf diese Weise gepriesen und verehrt werden, ihre Abhängigkeit von Gott aus den Augen und vertrauen auf sich selbst. Infolgedessen suchen sie die Gemüter und Gewissen des Volkes, welches geneigt ist, auf sie, anstatt auf das Wort Gottes um Führung zu sehen, zu beherrschen. Das Werk der Reformation wird oft gehemmt, weil dieser Geist von ihren Anhängern genährt wird. Vor dieser Gefahr wollte Gott die Sache der Reformation bewahren. Er wünschte, daß dieses Werk nicht das Gepräge des Menschen, sondern das Gepräge Gottes empfange. Die Augen der Menschen hatten sich auf Luther, den Ausleger der Wahrheit, gewandt; er wurde entfernt, damit aller Augen auf den ewigen Urheber der Wahrheit gerichtet werden möchten.