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Drei Jahrhunderte lang wurde die
christliche Gemeinde verfolgt - bis zum Jahre 321 n. Chr. Aus politischen Gründen
schloß dann der römische Kaiser Konstantin Freundschaft mit der Kirche. Das
brachte tiefgreifende Änderungen.
Kompromisse, Anpassung und Verfolgungen breiteten sich in der wachsenden Kirche aus. Schritt für Schritt ging es abwärts. Lesen Sie, wie das alles kam.
Schritt für Schritt abwärts
Der
Apostel Paulus erklärte in seinem Zweiten Brief an die Thessalonicher, daß der
Tag Christi nicht kommen werde, „es sei denn, daß zuvor der Abfall komme und
offenbart werde der Mensch der Sünde, das Kind des Verderbens, der da ist der
Widersacher und sich überhebt über alles, was Gott oder Gottesdienst heißt,
also daß er sich setzt in den Tempel Gottes als ein Gott und gibt sich aus, er
sei Gott. “ Und weiter warnt der Apostel seine Brüder: „Es regt sich
bereits das Geheimnis der Bosheit.“ (2. Thess. 2, 3.4.7).
Schon zu jener frühen Zeit sah er, daß sich Irrtümer in die Kirche
schlichen, welche den Weg für die Entwicklung des geweissagten Abfalls
vorbereiteten.
Das Geheimnis der Bosheit führte nach und nach, erst verstohlen und
stillschweigend, dann, als es an Kraft zunahm und die Herrschaft über die Gemüter
der Menschen gewann, offener sein betrügerisches und verderbliches Werk aus.
Beinahe unmerklich fanden heidnische Gebräuche ihren Weg in die christliche
Gemeinde. Zwar wurde der
Geist des Nachgebens und der Zustimmung eine Zeitlang durch die heftige
Verfolgung, welche die Gemeinde Gottes unter dem Heidentum erduldete, zurückgehalten;
als aber die Verfolgung aufhörte und das Christentum die Höfe und Paläste der
Könige betrat, vertauschte es die demütige Einfachheit Christi und seiner
Apostel mit dem Gepränge und dem Stolz der heidnischen Priester und Herrscher
und setzte an die Stelle der Forderungen Gottes menschliche Theorien und Überlieferungen.
Die angebliche Bekehrung Konstantins, früh
im vierten Jahrhundert, verursachte große Freude, und die Welt zog, angetan mit
dem Schein der Gerechtigkeit, in die Kirche ein. Jetzt machte das Verderben
schnellen Fortschritt. Das Heidentum wurde, während es besiegt zu sein schien,
zum Sieger. Sein Geist beherrschte die Kirche. Seine Lehren, sein Gepränge und
sein Aberglaube wurden dem Glauben und der Gottesverehrung der bekenntlichen
Nachfolger Christi einverleibt.
Dieser
Ausgleich zwischen Heidentum und Christentum hatte die Entwicklung des
„Menschen der Sünde“ zur Folge, von dem die Prophezeiung voraussagte, daß
er der Widersacher sei und sich über alles, was Gott heißt, überheben werde. Jenes
riesenhafte System falscher Religion ist ein Meisterstück der Macht Satans -
ein Denkmal seiner Anstrengungen, sich selbst auf den Thron zu setzen und die
Erde nach seinem Willen zu beherrschen.
Satan
versuchte es einmal, sich mit Christo zu einigen. Er kam zum Sohne Gottes in der
Wüste der Versuchung, zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit und
machte ihm das Anerbieten, alles in seine Hände zu geben, falls er nur die
Oberherrschaft des Fürsten der Finsternis anerkennen wollte. Christus schalt
den verwegenen Versucher und zwang ihn, sich zu entfernen. Satan
hat aber größeren Erfolg, wenn er mit denselben Versuchungen an die Menschen
herantritt. Um sich irdischen Gewinn und weltliche Ehren zu sichern, wurde die
Kirche dazu verleitet, die Gunst und den Beistand der Großen dieser Erde zu
suchen und indem sie auf diese Weise das Christum verwarf, gelangte sie dahin,
mit dem Stellvertreter Satans - dem Bischof von Rom - ein Treuebündnis
einzugehen.
Es ist eine der Hauptlehren der römischen Kirche, daß der Papst das
sichtbare Haupt der allgemeinen Kirche Christi sei, angetan mit höchster
Autorität über Bischöfe und Geistliche in allen Teilen der Welt.
Mehr als das, man hat dem Papst sogar die Titel der Gottheit beigelegt. Er ist
„der Herr Gott Papst“ (s. Anhang, Anm. 1) genannt und als unfehlbar erklärt
worden. Er verlangt, daß alle Menschen ihm Verehrung zollen. Somit werden
dieselben Ansprüche, welche Satan in der Wüste der Versuchung vorbrachte, von
ihm noch durch die Kirche von Rom gemacht, und viele sind bereit, ihm Huldigung
zu gewähren.
Diejenigen
aber, welche Gott fürchten und ihn verehren, treten dieser den Himmel
herausfordernden Anmaßung gegenüber, wie Christus den Verlockungen des
verschlagenen Feindes gegenübertrat: „Du sollst Gott deinen Herrn, anbeten,
und ihm allein dienen. “ (Luk. 4,8.) Gott hat in seinem Worte nie einen Wink
gegeben, daß er irgend einen Menschen bestimmt hat, das Oberhaupt der Gemeinde
zu sein. Die Lehre von der päpstlichen Oberherrschaft ist den Aussprüchen der
Heiligen Schrift geradezu entgegen. Der Papst kann keine Macht haben über die
Gemeinde Christi, außer durch unrechtmäßige Aneignung.
Die
Römlinge haben darauf beharrt, die Protestanten der Ketzerei und der
eigenwilligen Trennung von der wahren Kirche zu beschuldigen. Aber diese
Anklagen lassen sich eher auf sie selber anwenden. Sie sind diejenigen, welche
das Banner Christi niederlegten und von dem Glauben abwichen, „der einmal den
Heiligen übergeben ist.“ (Judas 3.)
Satan
wußte gar wohl, daß die Heilige Schrift die Menschen befähigen würde, seine
Täuschungen zu erkennen und seiner Macht zu widerstehen; hatte doch selbst der
Heiland der Welt seinen Angriffen durch das Wort Gottes widerstanden. Bei jedem
Ansturm hielt Christus ihm den Schild der ewigen Wahrheit entgegen und sagte:
„Es steht geschrieben“. Jeder Einflüsterung des Feindes widerstand er durch
die Weisheit und Macht des Wortes. Um die Herrschaft über die Menschen
aufrechtzuerhalten und seine Autorität zu befestigen, mußte Satan das Volk in
bezug auf die Heilige Schrift in Unwissenheit halten. Die Bibel würde Gott
erheben und den sterblichen Menschen ihre wahre Stellung anweisen; deshalb mußten
ihre heiligen Wahrheiten geheim gehalten und unterdrückt werden. Dieser
Plan wurde von der Kirche angenommen. Jahrhundertelang war die Verbreitung der
Bibel (in der Volkssprache) verboten; das Volk durfte sie nicht lesen noch im
Hause haben, und Geistliche legten ihre Lehren zur Begründung ihrer eigenen
Anmaßungen aus. Auf diese Weise wurde das Kirchenoberhaupt beinahe allgemein
anerkannt als Statthalter Gottes auf Erden, der mit Autorität über Kirche und
Staat ausgestattet worden sei.
Da das einzig zuverlässige Mittel zur Entdeckung des Irrtums auf die Seite
geschafft worden war, wirkte Satan ganz nach Willkür. Die Prophezeiung hatte
erklärt, das Papsttum werde „sich unterstehen, Zeit und Gesetz zu ändern.“
(Dan. 7, 25.) Dieses Werk zu versuchen war es nicht müßig. Um den vom
Heidentum Bekehrten ein Ersatzmittel für die Bekehrung von Götzen zu bieten
und so ihre äußerliche Annahme des Christentums zu befördern, wurde
stufenweise die Anbetung von Bildern und Reliquien in den christlichen
Gottesdienst eingeführt.
Das Dekret einer allgemeinen Kirchenversammlung richtete schließlich dieses
System der Abgötterei auf. (Das zweite nicänische Konzil, im Jahre 787.) Um
das gotteslästerliche Werk zu vollenden, maßte sich Rom an, aus dem Gesetze
Gottes das zweite Gebot, welches die Bilderverehrung (s. Anhang, Anm. 2)
verbietet, auszulassen, und das zehnte in zwei zu teilen, um die Zahl
beizubehalten.
Der
Geist des Zugeständnisses dem Heidentum gegenüber öffnete den Weg für eine
noch größere Mißachtung der Autorität des Himmels. Satan tastete durch
ungeheiligte Männer auch das vierte Gebot an und versuchte, den alten Sabbat,
den Tag, welchen Gott gesegnet und geheiligt hatte (l. Mose 2, 2.3.) beiseite
zusetzen und anstatt seiner den von den Heiden als „ehrwürdigen Tag der
Sonne“ beobachteten Festtag zu erheben. Diese Veränderung wurde anfangs nicht
offen versucht. In den ersten Jahrhunderten war der wahre Sabbat von allen
Christen gehalten worden. Sie eiferten für die Ehre Gottes, und da sie
glaubten, daß sein Gesetz unveränderlich sei, wahrten sie eifrig die
Heiligkeit seiner Vorschriften. Aber mit großer Schlauheit wirkte Satan durch
seine Werkzeuge, um seinen Zweck zu erreichen. Um die Aufmerksamkeit des Volkes
auf den Sonntag zu richten, wurde er zu einem Festtag zu Ehren der Auferstehung
Christi gemacht und an ihm Gottesdienst gehalten; doch betrachtete man ihn nur
als einen Tag der Erholung und hielt den Sabbat noch immer heilig.
Um den Weg für das von ihm beabsichtigte Werk vorzubereiten, hatte Satan die Juden vor der Ankunft Christi verleitet, den Sabbat mit höchst strengen Anforderungen zu belasten, so daß seine Feier eine Bürde wurde. Jetzt benutzte er das falsche Licht, in welchem er ihn auf diese Weise hatte erscheinen lassen, um auf ihn, als auf eine jüdische Einrichtung, Verachtung zu häufen. Während die Christen im allgemeinen fortfuhren, den Sonntag als einen Freudentag zu beobachten, veranlaßte er sie, um ihren Haß gegen alles Jüdische zu zeigen, den Sabbat zu einem Fasttag, einem Tag der Trauer und des Trübsinns, zu gestalten.
Am Anfang des vierten Jahrhunderts erließ Kaiser Konstantin ein Dekret (s.
Anhang, Anm. 3) im ganzen Römischen Reich, demzufolge der Sonntag als ein öffentlicher
Festtag eingesetzt wurde. Der Tag der Sonne wurde von den heidnischen Untertanen
verehrt und von den Christen geachtet, und der Kaiser verfolgte die Absicht, die
widerstreitenden Ansichten des Christentums mit denen des Heidentums zu
vereinen. Er wurde dazu von den Bischöfen der Kirche gedrängt, die, von
Ehrgeiz und Durst nach Macht beseelt, einsahen, daß den Heiden die äußerliche
Annahme des Christentums erleichtert und somit die Macht und Herrlichkeit der
Kirche gefördert würde, wenn sowohl von den Christen als auch von den Heiden
der nämliche Tag beobachtet würde.
Aber während viele fromme Christen allmählich dahin kamen, dem Sonntag einen
gewissen Grad von Heiligkeit beizumessen, hielten sie doch den wahren Sabbat als
dem Herrn heilig und beobachteten ihn im Gehorsam gegen das vierte Gebot.
Der Erzbetrüger
hatte sein Werk nicht vollendet. Er war entschlossen, die ganze christliche Welt
unter sein Banner zu sammeln, und durch seinen Statthalter, den stolzen
Oberpriester, der behauptete, der Stellvertreter Christi zu sein, seine Macht
geltend zu machen. Durch halb bekehrte
Heiden, ehrgeizige Prälaten und weltliebende Geistliche erreichte er seinen
Zweck. Von Zeit zu Zeit wurden große Kirchenversammlungen gehalten, zu welchen
die Würdenträger der Kirche aus allen Weltgegenden zusammenkamen. Auf fast
jedem Konzil wurde der von Gott eingesetzte Sabbat etwas mehr erniedrigt und der
Sonntag dementsprechend erhöht. So wurde der heidnische Festtag schließlich
als eine göttliche Einrichtung verehrt, während der Bibelsabbat als Überbleibsel
des Judentums verschrieen und seine Beobachter als verflucht erklärt wurden.
Dem
großen Abtrünnigen war es gelungen, sich über „alles, was Gott oder
Gottesdienst heißt,“ (2. Thess. 2, 4.) zu erheben. Er hatte sich erkühnt,
die einzige Vorschrift des göttlichen Gesetzes, welche unverkennbar alle
Menschen auf den wahren und lebendigen Gott hinweist, zu verändern. Im vierten
Gebot wird Gott als der Schöpfer Himmels und der Erde offenbart und dadurch von
allen falschen Göttern unterschieden. Zum
Andenken an das Schöpfungswerk wurde der siebente Tag als Ruhetag für die
Menschen geheiligt. Er war dazu bestimmt, dem Menschen den lebendigen Gott als
die Quelle des Seins und den Gegenstand der Verehrung und Anbetung beständig
vor Augen zu halten. Satan jedoch bestrebt sich, die Menschen von ihrer Treue zu
Gott und vom Gehorsam gegen sein Gesetz abwendig zu machen, und deshalb richtet
er seine Angriffe besonders gegen jenes Gebot, welches Gott als den Schöpfer
kennzeichnet.
Die
Protestanten machen jetzt geltend, daß die Auferstehung Christi am Sonntage
diesen Tag zum Ruhetag der Christen mache; jedoch fehlen hierfür die Beweise
aus der Heiligen Schrift. Weder Christus noch seine Apostel haben diesem Tage
eine solche Ehre beigelegt. Die Beobachtung des Sonntags als eine christliche
Einrichtung hat ihren Ursprung in jenem „Geheimnis der Bosheit.,“ welches
schon in den Tagen Pauli sein Werk begonnen hatte. (2. Thess. 2, 7; Grundtext:
„Geheimnis der Gesetzlosigkeit. “) Wo und wann aber hat der Herr dies Kind
des Abfalls angenommen? Welcher rechtsgültige Grund kann für eine Veränderung
gegeben werden, welche die Heilige Schrift nicht billigt?
Im
sechsten Jahrhundert hatte das Papsttum bereits eine feste Grundlage gewonnen.
Der Sitz seiner Macht war in der kaiserlichen Stadt aufgerichtet und der römische
Bischof als Oberhaupt der ganzen Kirche erklärt worden. Das Heidentum hatte dem
Papsttum Platz gemacht, der Drache dem Tiere „seine Kraft, seinen Stuhl und
große Macht“ (Offb. 13,2, s. auch Anhang, Anm. 4) gegeben. Und nun begannen
die zwölfhundertsechzig Jahre der päpstlichen Unterdrückung, wie sie in den
Prophezeiungen Daniels und der Offenbarung vorhergesagt sind. (Dan. 7, 25; Offb.
13, 5-7.) Die Christen waren gezwungen zu wählen, ob sie entweder ihre
Rechtschaffenheit aufgeben und die päpstlichen Gebräuche und den päpstlichen
Gottesdienst annehmen, oder ihr Leben in Kerkerzellen aufreiben oder auf der
Folterbank, auf dem Scheiterhaufen oder durch das Henkerbeil den Tod erleiden
wollten. Nun wurden die Worte Jesu erfüllt: „Ihr werdet aber überantwortet
werden von den Eltern, Brüdern, Gefreunden und Freunden; und sie werden eurer
etliche töten. Und ihr werdet gehaßt sein von jedermann, um meines Namens
willen. “ (Luk. 21, 16.17.) Verfolgung ergoß sich mit größerer Wut über
die Gläubigen als je zuvor, und die Welt wurde ein weites Schlachtfeld. Für
Hunderte von Jahren fand die Gemeinde Zuflucht in Zurückgezogenheit und
Dunkelheit. So sagt der Prophet: „Und das Weib entfloh in die Wüste, da sie
hatte einen Ort bereitet von Gott, daß sie daselbst ernährt würde
tausendzweihundertsechzig Tage.“ (Offb. 12,6.)
Der Beginn des dunklen Mittelalters wurde dadurch gekennzeichnet, daß die römische
Kirche zur Macht gelangte. Je mehr ihre Macht zunahm, desto dichter wurde die
Finsternis. Der Glaube wurde von Christo, dem wahren Grund, auf den Papst von
Rom übertragen. Statt für die Vergebung der Sünden und das ewige Heil auf den
Sohn Gottes zu vertrauen, sah das Volk auf den Papst und auf die von ihm
bevollmächtigten Priester und Prälaten. Es wurde gelehrt, daß der
Papst der irdische Mittler sei und niemand sich Gott nähern könne, es sei denn
durch ihn, und ferner, daß er für die Menschen an Gottes Stelle stehe und ihm
deshalb unbedingt zu gehorchen sei. Ein Abweichen von seinen Anforderungen war
hinreichende Ursache dafür, die härtesten Strafen an Leib und Seele über die
Schuldigen zu verhängen. So wurden die Gemüter des Volkes von Gott ab und auf
fehlbare, irrende und grausame Menschen gelenkt, ja noch mehr, auf den Fürsten
der Finsternis selbst, der durch dieselben seine Macht ausübte. Die Sünde war
unter einem Gewand von Heiligkeit verdeckt. Wenn die Heilige Schrift unterdrückt
wird und die Menschen sich selbst als maßgebend betrachten, so dürfen wir nur
Betrug, Täuschung und erniedrigende Ungerechtigkeit erwarten. Mit der Erhebung
menschlicher Gesetze und Überlieferungen wurde die Verderbnis offenbar, welche
immer aus der Verwerfung des Gesetzes Gottes hervorgeht.
Dies
waren Tage der Gefahr für die Gemeinde Christi. Der treuen Fahnenträger waren
wahrlich wenige. Obwohl die Wahrheit nicht ohne Zeugen gelassen wurde, schien es
doch zuzeiten, als ob Irrtum und Aberglaube vollständig überhandnehmen wollten
und die wahre Religion von der Erde verbannt werden würde. Das Evangelium wurde
aus den Augen verloren, religiöse Gebräuche hingegen wurden vermehrt und die
Leute mit strengen, harten Erpressungen belastet.
Nicht
nur wurden sie gelehrt, den Papst als ihren Mittler zu betrachten, sondern auch
zur Versöhnung ihrer Sünden auf ihre eigenen Werke zu vertrauen. Lange
Pilgerfahrten, Bußübungen, die Errichtung von Kirchen, Kapellen und Altären,
das Bezahlen großer Geldsummen an die Kirche - diese und viele ähnliche Lasten
wurden auferlegt, um den Zorn Gottes zu besänftigen oder sich seiner Gunst zu
versichern, als ob Gott, gleich einem Menschen, wegen Kleinigkeiten erzürnt
oder durch Gaben und Bußübungen zufriedengestellt werden könnte.
Trotzdem
die Sünde selbst unter den Leitern der römischen Kirche überhandnahm, so
schien doch der Einfluß der Kirche beständig zu wachsen. Ungefähr
am Schluß des achten Jahrhunderts erhoben die Verteidiger des Papsttums den
Anspruch, daß im ersten Zeitalter der Kirche die Bischöfe von Rom dieselbe
geistliche Macht besessen hätten, welche sie sich jetzt anmaßten. Um diesen
Anspruch geltend zu machen, mußte irgendein Mittel angewendet werden, um ihm
den Schein von Autorität zu verleihen, und dies wurde von dem Vater der Lügen
bereitwillig ins Werk gesetzt. Alte Handschriften wurden von Mönchen
nachgeahmt; bis dahin unbekannte Beschlüsse von Kirchenversammlungen wurden
entdeckt, welche die allgemeine Oberherrschaft des Papstes von den frühesten
Zeiten an bestätigten. Und eine Kirche, welche die Wahrheit verworfen
hatte, nahm diese Fälschungen begierig an. (s. Anhang, Anm. 5.)
Die wenigen Getreuen, die auf den wahren Grund bauten (vgl. 1. Kor. 3, 10.11.), wurden verwirrt und gehindert, als der Schutt falscher Lehren das Werk lähmte. Gleich den Bauleuten auf den Mauern Jerusalems in den Tagen Nehemias, waren einige bereit zu sagen: „Die Kraft der Träger ist zu schwach, und des Schuttes ist zu viel, wir können an der Mauer nicht bauen.“ (Neh. 4, 4.) Ermüdet von dem beständigen Kampf gegen Verfolgung, Betrug, Ungerechtigkeit und jegliches andere Hindernis, welches Satan ersinnen konnte, um ihren Fortschritt zu hindern, wurden einige Bauleute, die treu gewesen waren, entmutigt, und um des Friedens, der Sicherheit ihres Eigentums und ihres Lebens willen wandten sie sich von dem wahren Grund ab. Andere, unerschrocken bei dem Widerstand ihrer Feinde, erklärten furchtlos: Fürchtet euch nicht vor ihnen; gedenket an den großen, schrecklichen Herrn,“ (Neh. 4,8.) und sie fuhren fort mit der Arbeit, ein jeglicher sein Schwert um seine Lenden gegürtet (vgl. Eph. 6,17.).
Derselbe Geist des Hasses und des Widerstandes gegen die Wahrheit hat zu jeder Zeit Gottes Feinde begeistert, und dieselbe Wachsamkeit und Treue ist von seinen Dienern verlangt worden. Die an die ersten Jünger gerichteten Worte Christi gelten allen seinen Nachfolgern bis ans Ende der Zeit: „Was ich aber euch sage, das sage ich allen: Wachet!'“ (Mark. 13,37.)
Die
Finsternis schien dichter zu werden. Die Bilderverehrung wurde allgemeiner. Vor
den Bildern wurden Kerzen angezündet und Gebete dargebracht. Der
allerabgeschmacktesten und abergläubischsten Gebräuche nahmen überhand. Die
Gemüter der Menschen wurden so vollständig von Aberglauben beherrscht, daß
die Vernunft selbst ihre Herrschaft verloren zu haben schien. Während Priester
und Bischöfe selbst vergnügungssüchtig, sinnlich und verdorben waren, konnte
man nur erwarten, daß das Volk, welches um Leitung zu ihnen aufschaute, in
Unwissenheit und Laster versinken würde.
Ein
weiterer Schritt in der päpstlichen Anmaßung wurde gemacht, als im elften
Jahrhundert Papst Gregor VII. die Vollkommenheit der römischen Kirche verkündete.
Unter den von ihm vorgebrachten Anträgen war einer, der erklärte, daß die
Kirche nie geirrt habe noch der Heiligen Schrift gemäß je irren werde; aber
biblische Beweise begleiteten diese Behauptung nicht. Der
stolze Oberpriester beanspruchte auch die Macht, Kaiser abzusetzen und erklärte,
daß kein von ihm ausgesprochener Rechtsspruch von irgend jemand umgestoßen
werden könne, während es sein Vorrecht sei, die Beschlüsse anderer
aufzuheben. (s. Anhang, Anm. 6.)
Einen schlagenden Beweis seines Charakters lieferte dieser Befürworter der Unfehlbarkeit in der Behandlung des deutschen Kaisers Heinrich IV. Weil dieser Fürst gewagt hatte, die Macht des Papstes zu mißachten, wurde er in den Kirchenbann getan und als entthront erklärt. Erschreckt über die Untreue und die Drohungen seiner eigenen Fürsten, die in ihrer Empörung gegen ihn durch den päpstlichen Erlaß ermutigt wurden, hielt Heinrich es für notwendig, Frieden mit Rom zu machen. In Begleitung seiner Gemahlin und eines treuen Dieners überschritt er mitten im Winter die Alpen, damit er sich vor dem Papst demütige. Als er das Schloß, wohin Gregor sich zurückgezogen, erreicht hatte, wurde er ohne seine Leibwache in einen Vorhof geführt und dort erwartete er in der strengen Kälte des Winters, mit unbedecktem Haupte und nackten Füßen, in einem elenden Anzuge die Erlaubnis des Papstes, vor ihm erscheinen zu dürfen. Erst nachdem er drei Tage mit Fasten und Beichten zugebracht hatte, ließ sich der Papst herab, ihm Verzeihung zu gewähren, und selbst dann geschah es nur unter der Bedingung, daß der Kaiser seine Genehmigung abwarte, ehe er sich aufs neue mit dem Amtszeichen schmücke oder die Macht der Kaiserwürde ausübe. Gregor aber, durch seinen Sieg erkühnt, prahlte, daß es seine Pflicht sei, den Stolz der Könige zu demütigen.
Wie auffallend ist der Unterschied zwischen der Überhebung dieses Priesterfürsten und der Sanftmut und Milde Christi, der sich selbst darstellt als an der Tür des Herzens um Einlaß bittend, damit er einkehre, um Vergebung und Frieden zu bringen, der seine Jünger lehrt: „Wer da will der Vornehmste sein, der sei euer Knecht.“ (Matth., 20,27.)
Die
nachfolgenden Jahrhunderte waren Zeugen einer beständigen Zunahme des Irrtums
in den von Rom ausgehenden Lehren. Schon vor der Aufrichtung des Papsttums waren
die Lehren heidnischer Philosophen beachtet worden und hatten einen Einfluß in
der Kirche ausgeübt. Viele vorgeblich Bekehrte hingen noch immer an den Lehrsätzen
ihrer heidnischen Philosophie und fuhren nicht nur fort, sie selbst zu
erforschen, sondern drängten sie auch andern auf, um ihren Einfluß unter den
Heiden auszudehnen. Auf diese Weise wurden bedenkliche Irrtümer in den christlichen Glauben
eingeschleppt. Herausragend unter diesen war der Glaube an die natürliche
Unsterblichkeit des Menschen und sein Bewußtsein nach dem Tode. Diese Lehre
legte den Grund, auf den Rom die Anrufung der Heiligen und die Anbetung der
Jungfrau Maria baute. Hieraus entsprang auch die Irrlehre von einer ewigen Qual
für die bis zuletzt Unbußfertigen, die dem päpstlichen Glauben schon früh
einverleibt wurde.
Damit
war der Weg vorbereitet für die Einführung noch einer anderen Erfindung des
Heidentums, welche Rom das Fegefeuer nannte und dann anwandte, um der leichtgläubigen
und abergläubischen Menge Furcht einzujagen. Durch diese Lehre wird das
Vorhandensein eines Ortes der Qual behauptet, an welchem die Seelen derer, die
keine ewige Verdammnis verdient haben, für ihre Sünden bestraft werden und von
wo aus sie, sobald sie frei von aller Unreinheit sind, in den Himmel zugelassen
werden. (s. Anhang, Anm. 7.)
Noch eine andere Erdichtung war notwendig, um Rom in den Stand zu setzen, die Furcht und die Sünden seiner Anhänger für sich auszubeuten. Diese fand sich in der Ablaßlehre. Volle Vergebung der vergangenen, gegenwärtigen und zukünftigen Sünden und Erlaß aller sich dadurch zugezogenen Strafen und Qualen wurden allen zugesichert, die sich an den Kriegen des Papsttums beteiligten, sei es um seine weltliche Herrschaft zu erweitern, seine Feinde zu züchtigen oder die auszutilgen, welche sich erkühnten, seine geistliche Oberherrschaft zu bestreiten. Es wurde ferner gelehrt, daß man sich durch Bezahlen von Geld an die Kirche von Sünden befreien und auch die Seelen verstorbener Freunde, die in den quälenden Flammen gefangen gehalten wurden, erlösen könnte. Durch solche Mittel füllte Rom seine Kassen und unterhielt den Prunk, das Wohlleben und das Laster der vorgeblichen Vertreter dessen, der nicht hatte, wo er sein Haupt hinlegte (s. Anhang, Anm. 8.)
Die schriftgemäße Verordnung des Abendmahls war durch das Meßopfer verdrängt
worden. Die Priester behaupteten, einfaches Brot und Wein in den persönlichen
Leib und das wirkliche Blut Christi zu verwandeln. Sie beanspruchten öffentlich
die Macht, Gott, den Schöpfer aller Dinge, „zu schaffen.“ (s. Anhang, Anm.
9.) Von den Christen wurde bei Todesstrafe verlangt, ihren Glauben an diese
Lehre zu bekennen. Scharenweise wurden solche, die sich weigerten, den Flammen
übergeben.
Im dreizehnten Jahrhundert wurde jenes schrecklichste der Werkzeuge des
Papsttums - die Inquisition - eingeführt. Der Fürst der Finsternis wirkte mit
den Vorstehern der päpstlichen Priesterherrschaft. In ihren
geheimen Beratungen beherrschten Satan und seine Engel die Gemüter der
schlechten Menschen, während ungesehen ein Engel Gottes in ihrer Mitte stand
und den furchtbaren Bericht ihrer gottlosen Beschlüsse aufnahm und die
Geschichte von Taten niederschrieb, welche zu schrecklich sind, um vor
menschlichen Augen zu erscheinen. „Babylon die große“ war „trunken von
dem BIute der Heiligen“. Die verstümmelten Leiber und das Blut der Millionen
von Märtyrer schrien zu Gott um Rache gegen jene abtrünnige Macht.
Das Papsttum war zum Zwingherrn der Welt geworden. Könige und Kaiser
beugten sich vor den Erlassen des römischen Oberpriesters. Das Schicksal der
Menschen, für Zeit und Ewigkeit, schien in seiner Gewalt zu sein.
Jahrhunderte lang waren die Lehren Roms ausschließlich und unbedingt
angenommen, seine Gebräuche ehrfurchtsvoll vollzogen, seine Feste allgemein
beobachtet worden. Seine Geistlichkeit wurde geehrt und freigebig unterstützt.
Nie seither hat die römische Kirche größere Würde, Herrlichkeit oder Macht
erlangt.
Die Mittagszeit des Papsttums war die sittliche Mitternacht der Welt. Die
Heilige Schrift war nicht nur dem Volke, sondern auch den Priestern beinahe
unbekannt. Gleich den Pharisäern vor alters haßten die päpstlichen Anführer
das Licht, welches ihre Sünden aufgedeckt hätte. Da Gottes Gesetz, die
Richtschnur der Gerechtigkeit, weggetan worden war, übten sie Gewalt aus ohne
Grenzen und begingen Laster ohne Einschränkung. Betrug, Geiz, Verworfenheit waren an der Tagesordnung. Die Menschen
schreckten vor keinem Verbrechen zurück, durch welches sie Reichtum oder
Stellung erlangen konnten. Die Paläste der Päpste und Prälaten waren der
Schauplatz gemeinster Ausschweifungen. Einige der regierenden Päpste machten
sich so empörender Verbrechen schuldig, daß weltliche Herrscher es versuchten,
diese Würdenträger der Kirche, die zu niederträchtig waren, um geduldet zu
werden, abzusetzen. Jahrhundertelang hatte Europa keinen Fortschritt in den
Wissenschaften, der Kunst oder der Zivilisation gemacht. Eine sittliche und
geistige Lähmung hatte das Christentum befallen.
Der
Zustand der Welt unter der römischen Macht war eine furchtbare und auffallende
Erfüllung der Worte des Propheten Hosea: „Mein Volk ist dahin, darum daß es
nicht lernen will. Denn du verwirfst Gottes Wort, darum will ich dich auch
verwerfen ... Du vergissest des Gesetzes deines Gottes, darum will ich auch
deiner Kinder vergessen.“ „Denn es ist keine Treue, keine Liebe, kein Wort Gottes im Lande;
sondern Gotteslästern, Lügen, Morden, Stehlen und Ehebrechen hat überhand
genommen, und kommt eine Blutschuld nach der andern.“ (Hosea 4, 6.1.2.)
Solcher Art waren die Folgen der Verbannung des Wortes Gottes.